Bibtex

@InCollection{,
  Year    = "2019", 
  Title    = "Nearshoring", 
  Author    = "", 
  Booktitle    = "Gronau, Norbert ; Becker, Jörg ; Kliewer, Natalia ; Leimeister, Jan Marco ; Overhage, Sven (Herausgeber): Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik – Online-Lexikon",
  Publisher    = "Berlin : GITO",
  Url    = "https://wi-lex.de/index.php/lexikon/uebergreifender-teil/nearshoring/", 
  Note    = "[Online; Stand 25. April 2024]",
}

Nearshoring

Peter Buxmann (unter Mitarbeit von Markus HahnRabea Sonnenschein)


Bei Nearshoring handelt es sich um die Verlagerung von betrieblichen Tätigkeiten in das nahe gelegene Ausland. Nähe ist hierbei nicht ausschließlich geografisch zu verstehen. Auch kulturelle und sprachliche Gemeinsamkeiten, die förderlich für den Gesamterfolg eines Projektes sein können, sowie die Anzahl der zwischen den Ländern liegenden Zeitzonen spielen eine wichtige Rolle.

Begriff und Abgrenzung

Nearshoring ist eine besondere Form des Offshorings, also der Verlagerung (Outsourcing) von betrieblichen Tätigkeiten in das Ausland. Kennzeichnend für das Nearshoring ist die räumliche Nähe von Anbietern und Kunden. Für deutsche Unternehmen sind osteuropäische Länder bevorzugte Nearshore-Standorte, während aus US-amerikanischer Sicht Kanada oder auch Mexiko häufig genutzte Nearshore-Standorte sind [Kurbel 2008]. Die Durchführung von Nearshore-Projekten ist im Vergleich zum Offshoring in weiter entfernt liegende Niedriglohnländer (Farshoring), wie z. B. Indien oder China, mit einer Reihe von Vorteilen verbunden [Hutzschenreuter et al. 2007]. Ursachen dafür sind die schnelle Erreichbarkeit, vernachlässigbare Zeitunterschiede und die kulturelle Nähe. Dafür muss jedoch in Kauf genommen werden, dass im Vergleich zum Farshoring oftmals geringere Lohnkostenunterschiede existieren.

Entwicklung und Marktübersicht

Für westeuropäische Unternehmen wurde Nearshoring nach Osteuropa durch den Fall des eisernen Vorhangs, die Öffnung des russischen Marktes und die Osterweiterung der Europäischen Union zunehmend attraktiver. Mittlerweile hat sich in vielen Ländern Osteuropas eine Reihe von IT-Dienstleistern  etabliert, die für Kunden in Westeuropa oder auch in den USA arbeiten [Hoch et al. 2009, Amberg und Wiener 2006]. Diese Anbieter sind jedoch in der Regel mit bis zu 6.000 Mitarbeitern deutlich kleiner als ihre Konkurrenten wie etwa der indische Anbieter Tata Consultancy Services mit ca. 400.000 Mitarbeitern. Abbildung 1 zeigt die 10 Länder mit den größten Steigerungen im Export von IT-Dienstleistungen weltweit. Dabei wird deutlich, dass eine Reihe von Nearshore-Ländern Osteuropas zwar vom Volumen her nur in sehr geringem Umfang IT-Dienstleistungen exportieren, ihre Wachstumsraten jedoch teils deutlich über denen etablierter Standorte liegen – Indien als weltweit größter Exporteuer von IT-Dienstleistungen verzeichnete im Zeitraum 2005-2009 ein Wachstum von rund 15% p.a.

Exporte_ITDienste

Abbildung 1: Die Länder mit den größten Zuwächsen im Export von IT-Dienstleistungen (2005-2009). [Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis von Daten folgender Organisationen: IMF, EuroStat, Reserve Bank of India, US Bureau of Economic Analysis, UK Office for National Statistics.]

Motive für Nearshoring

Die Motive für Nearshoring können aus denen für das Offshoring abgeleitet werden. Dabei handelt es sich insbesondere um Kostenersparnisse, die Konzentration auf Kernkompetenzen und die Ergänzung der eigenen Kapazitäten [Amberg und Wiener 2006].  Da die Lohnkosten in Nearshore-Regionen häufig über denen von klassischen Offshore-Regionen wie Indien oder China liegen, stellt sich die Frage, welche Gründe für das Nearshoring sprechen. Mögliche Vorteile des Nearshorings lassen sich insbesondere auf die folgenden Punkte zurückführen:

Eine offensichtliche Besonderheit von Nearshore-Projekten ist die im Vergleich zum Farshoring geringe geographische Entfernung zwischen Anbietern und Kunden. Diese führt dazu, dass für den Projekterfolg bedeutende Treffen zwischen den Mitarbeitern von Anbietern und Kunden in der Regel schneller und kostengünstiger durchgeführt werden können. Hinzu kommt, dass bei vielen Nearshore-Regionen die wegfallenden Visarestriktionen eine Erleichterung des Mitarbeiteraustauschs darstellen, während für Mitarbeiter in Niedriglohnländern die Visaerteilung mit erheblichem Aufwand verbunden sein kann.

Bedeutender für die tägliche Zusammenarbeit zwischen Anbietern und Kunden ist die geringe Zeitverschiebung: Während beispielsweise der Zeitunterschied zwischen Deutschland und Indien 3,5 bzw. 4,5 Stunden beträgt, ist der Zeitunterschied zu vielen osteuropäischen Ländern vernachlässigbar gering. Die Arbeitszeiten von Auftragnehmern und Auftraggebern sind somit nahezu identisch, was die Zusammenarbeit und Kommunikation vereinfacht.

Als dritter Punkt sind die sprachlichen und kulturellen Unterschiede zu nennen. Anhand von Kategorien wie „Machtdistanz“ oder „Individualismus“ lassen sich Unterschiede zwischen Menschen verschiedener Kulturen messen, welche bei der Zusammenarbeit mit Nearshore-Anbietern in der Regel weniger stark ausgeprägt sind, als es bei Anbietern aus Farshore-Regionen der Fall ist [Hofstede 1982]. Diese Unterschiede führen zu unterschiedlichen Verhaltensweisen und können Vertrauen, Leistungs- und Kooperationsbereitschaft nachhaltig beeinflussen. Dies kann Auswirkungen auf den Gesamterfolg eines Offshore-Projektes haben [Buxmann et al. 2014].


Literatur

Amberg, M.; Wiener, M.: IT-Offshoring. Heidelberg: Physika-Verlag 2006.

Buxmann, P.; Diefenbach, H.; Hess, T.: Die Softwareindustrie. Ökonomische Prinzipien, Strategien, Perspektiven. 3. Auflage. Berlin u. a.: Springer 2014.

Hofstede, G.: Culture’s Consequences. International Differences in Work-Related Values. 2. Auflage. London: Sage Publications 1982.

Hoch, D.; Kwiecinski, M; Peters, P.: The Overlooked Potential for Outsourcing in Eastern Europe. In: Czinkota, M.; Ronkainen, I.A.; Kotabe, M. (Hrsg.): Emerging Trends, Threats and Opportunities in International Marketing, Business Expert Press, New York, 2009.

Hutzschenreuter, T.; Dresel, S.; Ressler, W.: Offshoring von Zentralbereichen. Von den Erfahrungen deutscher und amerikanischer Unternehmen lernen. Berlin u. a.: Springer 2007.

Kurbel, K.: The Making of Information Systems. Software Engineering and Management in a Globalized World. Berlin u. a.: Springer 2008

 

Hier weiterverbreiten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert