Bibtex

@InCollection{,
  Year    = "2019", 
  Title    = "Open Educational Resources (OER)", 
  Author    = "", 
  Booktitle    = "Gronau, Norbert ; Becker, Jörg ; Kliewer, Natalia ; Leimeister, Jan Marco ; Overhage, Sven (Herausgeber): Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik – Online-Lexikon",
  Publisher    = "Berlin : GITO",
  Url    = "https://wi-lex.de/index.php/lexikon/uebergreifender-teil/e-learning-technologie/e-learning-standards/open-educational-resources-oer/", 
  Note    = "[Online; Stand 20. April 2024]",
}

Open Educational Resources (OER)

Michael Kerres


Definition

Der Begriff Open Educational Resources (OER) bezieht sich auf Lehr-Lernmaterialien, die im Internet frei zugänglich sind: neben zielgerichtet für Lehr-Lernprozesse angefertigte Materialien sind damit auch Werkzeuge und Informationen gemeint, die für Lehr-Lernzwecke bereitgestellt werden. Die Idee kam in den 1990er Jahren auf, als mehrere Stiftungen die Bedeutung des freien Zugangs zu Bildungsmedien im Netz für die gesellschaftliche Entwicklung erkannten, gerade auch für Länder mit einem weniger entwickelten Bildungswesen für die breite Bevölkerung. Vorliegende Materialien, etwa der Open University in Großbritannien, wurden unter eine Lizenz gestellt,  die es ermöglicht, die Ressourcen im Internet bereitzustellen und unentgeltlich für Unterrichtszwecke zu nutzen.

Als Standard hat sich dabei die „Creative Commons“ (CC) – Lizenz herauskristallisiert. Sie beinhaltet ein abgestuftes System, mit dem sich vom Urheber eingeräumte Nutzungsarten einfach kommunizieren lassen. Eine Dozentin, die das Material erstellt hat, kann auf diese Weise bestimmte Nutzungsarten für andere Lehrkräfte erlauben oder ausschließen. Die CC-BY Lizenz etwa fordert, dass der Name der Autorin bei der Verwendung zu benennen ist. Die CC-SA Lizenz („share alike“) fordert dagegen, dass entsprechend ausgewiesene Materialien bearbeitet und wieder veröffentlicht werden können, allerdings sind sie unter der gleichen Lizenz zugänglich zu machen. Die entsprechenden Lizenzen sind als Bausteine angelegt, die miteinander kombiniert werden. Sie kann dann also z.B. lauten „CC-BY-SA“. Die CC-Lizenzen sind in die verschiedene Sprachen übersetzt und adaptiert worden; inwiefern sie tatsächlich mit einem sich ständig weiterentwickelnden nationalen Recht harmonieren und international durchsetzbar sind, bleibt in Teilen unsicher [Beursken 2016].

Die CC-Lizenzen verweisen auf Nutzungsvarianten, die für den didaktischen Verwendung in der digitalen Welt besonders interessant sind. In der Praxis zeigt sich, dass OER oft gleichgesetzt werden mit (kosten-) freien Materialien, die von Lernenden bzw. Lehrenden ohne Nutzungsgebühren verwendet werden können (auch wenn deren Produktion mit Aufwand verbunden war). Die bildungspolitische Diskussion folgt bei offenen Bildungsressourcen dagegen zumeist der Definition der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die das Speichern, Wiederverwerten, Überarbeiten, Neu-Zusammenstellen und Weitergeben erlaubt [Wiley 2015]:

Offene Bildungsressourcen (OER) … schwache OER starke OER
… dürfen gespeichert und vervielfältigt werden (retain) X X
… dürfen in unterschiedlichen Kontexten genutzt werden (reuse) X X
… dürfen bearbeitet werden (revise) X
… dürfen neu zusammengestellt werden (remix) X
… dürfen (auch verändert) weitergegeben werden (redestribute) X

Tab. 1: Merkmale von Offenen Bildungsressourcen (OER)

Kerres & Heinen [2015] unterscheiden zwischen schwachen und starken OER. Lehrkräfte sind zunächst vor allem an dem kostenfreien Zugang und der rechtssicheren Verwendung von Lernmaterialien interessiert sind. Dies würde einer schwachen Forderung an offene Bildungsressourcen entsprechen. Die weitergehenden Merkmale von starken OER, wie die Erlaubnis zur Bearbeitung, zum Mischen und zur erneuten Veröffentlichung, ermöglichen dagegen Potenziale für neuartige Lehr-Lernszenarien mit digitalen Meiden, die in ihren Chancen teilweise (noch) nicht gesehen werden. Dabei ist es aus didaktischer Sicht nicht zwingend und nicht grundsätzlich zu fordern, dass alle Materialien die Kriterien von starken OER erfüllen. Auch Materialien, die nicht bearbeitbar sind oder neu zusammengestellt werden dürfen, aber frei verfügbar sind, können für didaktische Zwecke nützlich sein. Die OER-Machbarkeitsstudie von Blees u.a. (2016) verweist auf eine hohe Nachfrage bei schwachen OER, während die größeren didaktischen Potenziale mit starken OER verbunden sind. Zugleich ergeben sich bei der Bereitstellung schwacher OER weniger technische Hürden. Bei der Dissemination von – didaktisch interessanteren – starken OER bestehen dagegen eine Reihe von Herausforderungen in der technischen Implementation. Sie betreffen u. a. den Umgang mit Versionen oder der Führung von Urheberschaften an Teilen der Quelle, da entsprechende Plattformen zur Bereitstellung von OER dies technisch vielfach nicht unterstützen.

Granularität von OER

OER können drei Level der Granularität aufweisen [Kerres, Heinen 2015]: Die meisten im Netz verfügbaren OER-Materialien, insbesondere für die Schule, beziehen sich auf einzelne Lehr-Lernaktivitäten: Das Übungsblatt zum Bruchrechnen, für die Grammatikregeln oder die Geschichtsdaten – angefertigt und digital bereitgestellt von einer Lehrkraft – gehören hierzu. Größere Lehreinheiten umfassen den Lehrstoff eines ganzen Schuljahres und bedürfen der Koordination eines ganzen Teams von Autor/innen und Produzent/innen. Digitale Lehrbücher bilden ein Curriculum ab und werden als offene Ressourcen in Abstimmung und im Auftrag etwa einer Schulbehörde entwickelt bzw. betrieben. Offene Online-Kurse schließlich führen zu einem definierten Lernziel und beinhalten eine Reihe von Lernmaterialien und –aktivitäten. Solche offenen Online-Kurse können auf hohe Nachfrage stoßen. Im Falle von MOOCs („massive open online courses“) mit teilweise mehreren tausend Teilnehmenden bestehen neue Herausforderungen und Chancen in der Gestaltung der Lehr-Lernorganisation. Dabei ist zu beachten, dass ein solcher Online-Kurs möglicherweise kostenfrei belegt werden kann, die innerhalb des Kurses bereitgestellten Materialien aber nicht unbedingt OER-Ressourcen und andernorts frei verwendbar sind.

Level Merkmal Didaktische
Eigenschaft
Technische
Umsetzung, z.B.
bereitgestellt von z.B. …
Arbeitsblatt unterstützt einzelne Lehr-Lernaktivität veranschaulicht, übt oder vertieft einen Lerninhalt Textdokumentation, Video,
Animation …
Lehrkraft
Lehreinheit/
Lehrbuch
bildet Curriculum ab mit einer Sequenz von Lehr-Lerninhalten führt systematisch in Lerninhalte über längere Zeitspanne ein PDF-Dokument mit
multimedialen Elementen
Verlag, Stiftung,
Medienanstalt, Landeszentrale
 Kurs beinhaltet Folge von Lehr-Lernaktivitäten, die auf ein Lernziel ausgerichtet sind führt zu einem definierten Lernergebnis (z.B. Credits) Web Based Training, Online-Kurs mit Selbsttests, tutorieller Betreuung, Prüfung … Bildungsanbieter, (Hoch-) Schule, Online-Akademie …

 Tab. 2: Granularität von Offenen Bildungsressourcen (OER)

Lehrbücher werden meistens noch analog distribuiert: als Printerzeugnisse, bei denen das abgesetzte Exemplar einzeln berechnet wird. Sie haben je nach Fach und je nach Land eine unterschiedliche Bedeutung, aber angesichts der teilweise massiven Preissteigerungen wird mancherorts auf digitale Produkte mit offenen Lizenzen umgeschwenkt. Treibende Akteure sind hier insbesondere Ministerien, Schulträger oder Fachgesellschaften. Dabei wird die Kompetenz von Verlagen in der Produktion von Bildungsmedien nicht obsolet, sondern mit alternativen Geschäftsmodellen eingebunden. Bei diesen Initiativen spielen Kostenerwägungen eine wichtige Rolle, gleichzeitig zielen die Vorhaben aber auch auf neue, innovative Lösungen, wie eine Lehr-Lernumgebung mit digitalen Ressourcen künftig aussehen kann: Inwiefern ist sie als abgeschlossenes Lehrwerk zu betrachten? Wie können Überarbeitungen und Erweiterungen systematisch eingebunden werden? Wie lassen sich gleichermaßen kursspezifische und -übergreifende Arbeitsumgebungen schaffen?  Die resultierenden Lehrwerke werden dabei für die Lernenden „kostenfrei“ zugänglich, aber sie erfüllen bislang selten die strikten Forderungen an starke OER, um diese auch überarbeiten, neu zusammenzustellen oder weitergeben zu können bzw. zu dürfen.

OER und informationelle Ökosysteme

Die Diskussion über OER steht in einem Zusammenhang zu anderen Strängen einer „Open Culture“. In der Wissenschaft steht etwa die Forderung im Raum, einen freien Zugang zu Forschungsergebnissen in Journalen mit „Open Access“ zu eröffnen.  Das Betriebssystem LINUX ist als „Open Source“ das Ergebnis einer weltweiten Zusammenarbeit von Entwickler/innen. Es gibt Standards für „offene Dokumente“ oder „offene Lizenzen“. Für die Bildung ist ein weiterer Aspekt von Relevanz, nämlich auf welche Weise die Bildungsressourcen für Lehr-Lernzwecke bereitgestellt werden. Das World Wide Web ist ursprünglich als dezentral organisiertes Medium nicht-hierarchisch und nicht-kommerziell angelegt gewesen. Um Information und Wissen zu monetarisieren, entwickeln sich im Internet jedoch immer mehr abgegrenzte Bereiche, die die Nutzenden mit vielfältigen Diensten und attraktiven Angeboten zu binden versuchen. Die Schließung dieser Bereiche erfolgt durch technische Maßnahmen und Bezahlschranken. In der Interaktion von Anbietern mit den Nutzenden, die durch eigene Inhalte dazu beitragen, dass diese Bereiche mit Leben gefüllt werden, entstehen Ökosysteme im Internet. Weitere Akteure geraten in den Blick: Die Produzenten von Ressourcen, die Redaktionen und Agenturen, die diese selektieren, bewerten und bereitstellen, und weitere intermediäre Akteure, die letztlich die informationelle Umwelt maßgeblich beeinflussen. Der Begriff des informationellen Ökosystems nimmt die Vielfalt der Akteure und ihr Zusammenspiel in den Blick.
Der Versuch, diese Ökosysteme abzuschließen, lässt sich auch für den Bildungsbereich beobachten, wenn Anbieter Welten aufbauen, die spezifisch zugeschnitten sind auf bestimmte Geräte, Betriebssysteme, digitale Werkzeuge oder Inhalte und enge Grenzen ihrer Nutzung festlegen.  Im Internet entstehen zusehends abgeschlossene Ökosysteme mit dem ökonomischen Kalkül, Nutzende in abgegrenzten Bereichen zu halten. Die Unternehmen können auf diese Weise alle dort präsentierten Inhalte kontrollieren und das Benutzerverhaltens optimal überwachen und steuern. Auch wenn dort offene Bildungsressourcen frei verfügbar gemacht werden, bleiben sie in einem geschlossenen informationellen Ökosystem. Für eine Bildungsarbeit, die essentiell auf der Pluralität von Sichten und dem Diskurs basiert, erscheint es dagegen wichtig, offene informationelle Ökosysteme zu etablieren, die den freien Zugang verschiedener Content-Anbieter sicherstellen und Mechanismen existieren, die nachhaltig schwache und starke Varianten der OER-Nutzung „für Alle“ eröffnen. Für die Bildungsarbeit zielführend erscheint deswegen eine dezentral verteilte technische Lösung, die vorhandene Angebote und Anbieter über Schnittstellen zusammenführt. Für die öffentlichen Bildungsangebote in Deutschland muss die Lösung der föderalen Anlage der Bildungslandschaft gerecht zu werden, in der verschiedene Akteure in den Bundesländern Bildungsressourcen bereitstellen. Sie ist als Netzwerk in sich offen anzulegen und sollte die Inhalte über Metadaten auffindbar machen. Die Anbieter speisen Metadaten ein, die das Finden von Materialien – über alle Anbieter hinweg – ermöglicht. Eine solche Lösung kommt der pädagogischen Forderung nach, wonach es nicht das „eine“ Material zu einem Thema geben kann und auch nicht die „eine“ oder den „einen“ Anbieter von Material [Kerres, Heinen 2015].

Literatur

Beurskens, M. (2016). Neue Spielräume durch Digitalisierung? E-Learning in der deutschen Rechtslehre. Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft, 3(1), 1–17.

Blees, Ingo, Hirschmann, Doris, Kühnlenz, Axel, Rittberger, Marc, Schulte, Jolika, Cohen, Nadia, … Khenkitisack, Phoutsada. (2016). Machbarkeitsstudie zum Aufbau und Betrieb von OER-Infrastrukturen in der Bildung. Frankfurt: Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung. Abgerufen von http://www.pedocs.de/volltexte/2016/11715/pdf/OER_Machbarkeitsstudie_Bericht.pdf

Kerres, M. & Heinen, R. (2015). Open Informational Ecosystems: The missing link for sharing resources for education. International Review of Research in Open and Distance Learning, 16(1).

Wiley, D. (2015). The MOOC misstep and the open education infrastructure. In C. J. Bonk, M. M. Lee, T. C. Reeves, & T. H. Reynolds (Hrsg.), MOOCs and Open Education around the world (S. 3–11). New York: Routledge

 

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