Bibtex

@InCollection{,
  Year    = "2019", 
  Title    = "Crowdsourcing", 
  Author    = "", 
  Booktitle    = "Gronau, Norbert ; Becker, Jörg ; Kliewer, Natalia ; Leimeister, Jan Marco ; Overhage, Sven (Herausgeber): Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik – Online-Lexikon",
  Publisher    = "Berlin : GITO",
  Url    = "https://wi-lex.de/index.php/lexikon/uebergreifender-teil/crowdsourcing/", 
  Note    = "[Online; Stand 20. April 2024]",
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Crowdsourcing

Ivo BlohmUlrich Bretschneider


Crowdsourcing ist eine digitale Form der Arbeitsorganisation, bei der Unternehmen über das Internet auf das Wissen, die Kreativität, die Arbeitskraft und die Ressourcen einer grossen Masse an Teilnehmern zugreifen, um diese in die betriebliche Leistungserstellung einzubinden.

Crowdsourcing

Beim Crowdsourcing schlägt ein Auftraggeber („Crowdsourcer“; z.B. eine Unternehmung, Organisation, Gruppe oder einzelne Individuen), einer Menge von potentiellen Auftragnehmern („Crowdsourcees“ bzw. „Crowd Worker“) eine Aufgabe in einen offenen Aufruf über das Internet vor. Diese Auftragnehmer (z.B. Individuen, formelle oder informelle Gruppen, Organisationen oder Unternehmen), übernehmen die Bearbeitung der Aufgaben und reichen Beiträge zu deren Lösung ein [Blohm et al. 2013].

Die Leistungsfähigkeit des Crowdsourcing liegt in der Aggregation des Wissens, der Arbeitskraft, der Kreativität und der Ressourcen von unterschiedlichen und unabhängigen Mitwirkenden [Afuah und Tucci 2012] sowie den Möglichkeiten der Zerlegung, Verteilung, Parallelisierung, Standardisierung, Automatisierung und anschließenden Aggregation von Teilaufgaben [Leimeister 2015]. Dadurch können oftmals komplett neue Lösungsbeiträge erarbeitet werden, die tradierte Denkmuster des Auftraggebers überwinden und etablierte Lösungen oftmals in ihrer Leistungsfähigkeit und Effektivität übersteigen [Afuah und Tucci 2012; Lakhani et al. 2013].

Der Interaktionsprozess zwischen einem Auftraggeber und einer Masse an Mitwirkenden erfolgt über IT-gestützte Crowdsourcing-Plattformen [Blohm et al. 2016]. Die Crowdsourcing-Plattform interagiert als Intermediär zwischen den beiden Parteien und stellt die organisatorische und technische Infrastruktur für die Austauschbeziehung dar. Der Austauschprozess zwischen Auftraggeber und -nehmern unterscheidet sich dabei grundlegend von existierenden Arbeitsprozessen und wird in sehr großen Teilen durch die Crowdsourcing-Plattform determiniert. Zu Beginn wird die Aufgabe konkretisiert und beschrieben, bevor der Auftraggeber diese über einen offenen Aufruf ausschreibt. Auftragnehmer nehmen anschließend freiwillig an der Bearbeitung der Aufgaben teil („Selbstselektion“). Bei einigen Formen des Crowdsourcing müssen sich potenzielle Auftragnehmer für die Teilnahme bewerben, woraufhin die Geeignetsten zur Bearbeitung der Aufgabe ausgewählt werden. Die (ausgewählten) Auftragnehmer beginnen dann mit der eigentlichen Bearbeitung der gestellten Aufgabe. Zuletzt werden die eingereichten Lösungen zusammengeführt und bewertet. Die Vergütung (monetär oder nicht-monetär) der Auftragnehmer schließt das Projekt ab.

Beim Crowdsourcing wird zwischen zwei unterschiedlichen Arbeitsformen unterschieden: Wettbewerb und Zusammenarbeit. Im ersten Fall stehen Auftragnehmer entweder in einem zeitlichen (der erste Auftragnehmer, der eine Aufgabe erfolgreich bearbeitet wird entlohnt) oder ergebnisorientierten Wettbewerb (der Auftragnehmer mit der „besten“ Lösung wird entlohnt). Aufgrund des Wettbewerbs arbeiten Auftraggeber unabhängig voneinander und generieren eigenständige Lösungen. Beim zusammenarbeitsbasierten Crowdsourcing erarbeiten mehrere Auftragnehmer gemeinsam eine übergeordnete Lösung [Afuah and Tucci 2012]. Einzelbeiträge der Auftragnehmer haben daher in der Regel nur einen minimalen eigenen Wert. Es sind jedoch auch diverse Mischformen zwischen Wettbewerb und Zusammenarbeit möglich [Hutter et al. 2011].

Dieses Konzept der Aufgabenbearbeitung ist vielschichtig und umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Bezeichnungen zur Unterstützung diverser Unternehmensfunktionen. Bereits seit Ende der 90er Jahre hat sich, weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit, eine Vielzahl von professionellen Dienstleistungen etabliert, die heute fest in der realen Arbeitswelt  verankert sind. In den vergangenen Jahren sind diese Ansätze unter der gemeinsamen Bezeichnung „Crowdsourcing“ jedoch erst an die Oberfläche gekommen. Seitdem steigt die Anzahl an Unternehmen, die Crowdsourcing für unterschiedlichste Aufgaben nutzen und systematisch in Geschäftsprozesse integrieren [Hammon and Hippner 2012]. Als Folge werden heutzutage aus nahezu allen wertschöpfenden Bereichen eines Unternehmens (vgl. Abbildung 1) einzelne Aufgaben zur Bearbeitung an die Crowd ausgelagert.

 

Abb. 1: Einsatzbereiche von Crowdsourcing [Durward et al. 2016]

Im Zuge einer zunehmenden Erosion von Unternehmensgrenzen sowie der damit verbundenen Vernetzung von internen und externen Prozessen, haben sich in der Praxis verschiedene Spielarten von Crowdsourcing  gebildet, die sich im weitesten Sinne nach Herkunft der Mitwirkenden unterteilen lassen (vgl. Abbildung 2).

Spielarten

Abb. 2: Varianten von Crowdsourcing [Zogaj et al. 2014]

Im Fall I fungiert die unternehmensinterne Belegschaft als Crowd, so dass Arbeitnehmer des Auftraggebers auf unternehmensinternen Crowdsourcing-Plattformen Aufgaben übernehmen. Bei externem Crowdsourcing kann theoretisch jedes Individuum mit Zugang zum Internet teilnehmen. Die Plattform wird hier entweder direkt von einem Auftraggeber betrieben (Fall II) oder durch einen Crowdsourcing-Intermediär bereitgestellt (Fall III). Crowdsourcing-Intermediäre bauen selbst eine Crowd auf, welche Auftraggebern gegen Gebühr zur Bearbeitung von Aufgaben zur Verfügung gestellt wird [Zogaj et al. 2014].

Crowd Work

Im Vergleich hierzu ist Crowd Work eine digitale Form von Erwerbsarbeit, in deren Rahmen eine undefinierte Menge von Mitwirkenden digitale Güter ausgehend von einem offenen Aufruf erstellt [Durward et al. 2016]. Es handelt sich bei Crowd Work damit um eine Form der digitalen Erwerbsarbeit bei der Crowdsourcing als Prinzip der Arbeitsorganisation eingesetzt wird und die unter signifikantem Einsatz digitaler Werkzeuge verrichtet wird (vgl. Abbildung 3).

Crowdwork

Abb. 3: Crowd Work als Form digitaler Erwerbsarbeit [Durward et al. 2016]

Dies impliziert drei definitorische Bestandteile [Durward et al. 2016]:

(1) Vergütung: Die Beiträge bzw. die Leistungen der Auftragnehmer werden finanziell vergütet. Die intrinsische Motivation zur Teilnahme steht in der Regel im Hintergrund.

(2) Existenzsicherung: Zur Existenzsicherung erzielen Auftragnehmer haupt- oder nebenberuflich durch Crowd Work einen substanziellen Beitrag ihres Einkommens.

(3) Selbstorganisation: Für potenziell Mitwirkende hat Crowd Work weitreichende Veränderungen. Bei externer Crowd Work agieren Mitwirkende im weitesten Sinne als Selbstständige. Mitwirkende werden nicht in sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen beschäftigt und sind in keiner wirtschaftlichen Abhängigkeit zum Auftraggeber. Bei interner Crowd Work besitzen Mitwirkende in der Regel einen Arbeitsvertrag für ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis. Jedoch umfasst Crowd Work in diesem Zusammenhang das Umwandeln von festen Arbeitsplätzen in einen flexiblen Ressourcenpool, in dem Mitwirkende im Rahmen ihrer vertraglich vereinbarten Arbeitszeit projektbasiert einzelne Aufgaben bearbeiten, die in einem offenen Aufruf ausgeschrieben werden. Oftmals können Mitwirkende in diesem Zusammenhang ihre Arbeitstätigkeit sowie -zeit frei gestalten. Im Gegenzug müssen sie sich aber auch oftmals selbstständig für die Bearbeitung von Aufgaben bewerben.

Crowdfunding

Crowdfunding bezeichnet die gemeinschaftliche Finanzierung von sozialen, kreativen, unternehmerischen oder konsumorientierten Projekten einer privaten oder juristischen Person durch eine Vielzahl von Internetnutzern [Belleflamme et al. 2014]. Die Finanzierung erfolgt dabei in einem offenen Aufruf über eine Crowdfunding-Plattform, welche als Intermediär zwischen den Projektinitiatoren und der Crowd auftritt und somit die finanzielle Beteiligung der Crowd ermöglicht. Die Investoren können Privatpersonen oder institutionelle Anleger umfassen.

Haas et al. [2014] unterscheiden zwischen drei wesentlichen Spielarten des altruistischen, hedonistischen und gewinnorientierten Crowdfunding. Diese drei Hauptarten charakterisieren dabei nicht nur die Gegenleistungen für Unterstützer eines Projektes, sondern auch die grundsätzlichen Ausrichtungen der einzelnen Crowdfunding-Plattformen. Innerhalb dieser Archetypen gibt es jedoch eine Vielzahl von unterschiedlichen Ausprägungen (vgl. Abbildung 4).

Crowdfunding

Abbildung 4: Abgrenzung unterschiedlicher Arten von Crowdfunding [Blohm et al. 2014]

Altruistische Crowdfunding-Plattformen sammeln Spenden bzw. Schenkungen, für die Unterstützer in der Regel keine direkte Gegenleistung erhalten („Crowddonation“). Der Großteil der Projekte auf solchen Plattformen hat einen klaren Fokus auf soziale, karikative und ökologische Aspekte und soll damit dem Allgemeinwohl dienen. Beim hedonistischen Crowdfunding beteiligen sich Unterstützer an innovativen und kreativen Projekten. Statt einer finanziellen Gegenleistung erhalten die Unterstützer oftmals Belohnungen („Reward-based Crowdfunding“ oder „Crowdsupporting“) für die Beteiligung an einem Projekt. Je nach Ausmaß der finanziellen Beteiligung reichen die Belohnungen hier von ideellen Widmungen bis hin zu konkreten Produkten, für die Crowdfunding eine Vorfinanzierung der Produktionskosten ermöglicht („Pre-Sales“ oder „Pre-Ordering“). In der Praxis sind die Übergänge fließend – oftmals werden beide Ansätze parallel eingesetzt. Gewinnorientiertes Crowdfunding ist durch finanzielle Gegenleistungen für die Unterstützer gekennzeichnet. Diese umfassen beispielsweise einen jährlichen prozentualen Anteil am Gewinn und optional zum Laufzeitende auch am Unternehmenswert (z.B. im Zuge einer Eigenkapitalbeteiligung oder durch Einlage von mezzaninem Kapital an einem Start-up; „Crowdinvesting“) oder vertraglich fest vereinbarte (gewinnunabhängige) Zinsen für ein Darlehen („Crowdlending“). Auch hier sind die Übergänge fließend. Vor allem in Deutschland erhalten Unterstützer für ihr finanzielles Engagement in der Regel Mezzaninkapital (insb. partiarische Nachrangdarlehen). Da die Rückflüsse zumindest zum Teil gewinnabhängig sind, werden diese hierzulande dem Crowdinvesting zugerechnet.

Quellen:

Afuah, A., und Tucci, C. 2012. “Crowdsourcing as a Solution to Distant Search,” Academy of Management Review (37:3), S. 355-375.

Belleflamme, P., Lambert, T., und Schwienbacher, A. 2014. “Crowdfunding: Tapping the Right Crowd,” Journal of Business Venturing (29:5), S. 585-609.

Blohm, I., Leimeister, J.M., and Krcmar, H. 2013. “Crowdsourcing: How to Benefit from (Too) Many Great Ideas,” MIS Quarterly Executive (12:4), S. 199-211.

Blohm, I., Riedl, C., Füller, J., und Leimeister, J.M. 2016. “Rate or Trade? How to Identify Winning Ideas in Open Idea Sourcing,” Information Systems Research (27:1), pp. 27-48.

Blohm, I., Sieber, E., Schulz, M., Haas, P., Leimeister, J.M., Wenzlaff, K., und Gebert, M. 2014. “Crowdfunding 2020 – Komplement Oder Substitut für die Finanzindustrie?,” Universität St. Gallen, Competence Center Crowdsourcing, Univeristät Kassel, Fachgebiet Wirtschaftsinformatik Deutscher Crowdsourcing Verband e.V., German Crowdfunding Network, Ikosom, Crowd Mentor Network, Berlin.

Durward, D., Blohm, I., und Leimeister, J.M. 2016. “Crowd Work,” Business & Information Systems Engineering (58:4), S. 281-286.

Haas, P., Blohm, I., und Leimeister, J.M. 2014. “An Empirical Taxonomy of Crowdfunding Intermediaries,” International Conference on Information Systems 2014.

Hammon, D.-K.L., und Hippner, H. 2012. “Crowdsourcing,” Business & Information Systems Engineering (4:3), S. 163-166.

Hutter, K., Hautz, J., Füller, J., Mueller, J., und Matzler, K. 2011. “Communitition: The Tension  between Competition and Collaboration in Community-Based Design Contests,” Creativity and Innovation Management (20:1), S. 3-21.

Lakhani, K.R., Boudreau, K.J., Loh, P.-R., Backstrom, L., Baldwin, C., Lonstein, E., Lydon, M., MacCormack, A., Arnaout, R.A., und Guinan, E.C. 2013. “Prize-Based Contests Can Provide Solutions to Computational Biology Problems,” Nature Biotechnology (31:7), S. 108-111.

Zogaj, S., Bretschneider, U., and Leimeister, J.M. 2014. “Managing Crowdsourced Software Testing: A Case Study Based Insight on the Challenges of a Crowdsourcing Intermediary,” Journal of Business Economics (84:3), S. 375-405.

 

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