Bibtex

@InCollection{,
  Year    = "2019", 
  Title    = "Informationssystem-Architekturen, Gestaltung: Methoden, Modelle, Werkzeuge", 
  Author    = "Sinz, Prof. Dr. Elmar", 
  Booktitle    = "Gronau, Norbert ; Becker, Jörg ; Kliewer, Natalia ; Leimeister, Jan Marco ; Overhage, Sven (Herausgeber): Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik – Online-Lexikon",
  Publisher    = "Berlin : GITO",
  Url    = "https://wi-lex.de/index.php/lexikon/informations-daten-und-wissensmanagement/informationsmanagement/information/informationssystem-architektur/informationssystem-architekturen-gestaltung-methoden-modelle-werkzeuge/", 
  Note    = "[Online; Stand 24. April 2024]",
}

Informationssystem-Architekturen, Gestaltung: Methoden, Modelle, Werkzeuge

Elmar Sinz


Die Gestaltung von Informationssystem-Architekturen praxisrelevanter Größenordnungen erfordert spezielle Methoden, Modelle und Werkzeuge. Auf der Grundlage eines generischen Architekturrahmens werden ausgewählte Architekturkonzepte als Gestaltungsoptionen für Informationssystem-Architekturen charakterisiert.

Grundlagen

In Analogie zum Architekturbegriff im Bauwesen umfasst der Begriff Informationssystem-Architektur den Bauplan eines Informationssystems im Sinne einer Spezifikation seiner Komponenten und ihrer Beziehungen unter allen relevanten Blickwinkeln sowie die Konstruktionsregeln für die Erstellung des Bauplans [Ferstl, Sinz 2013, S. 195]. Der Bauplan ist ein Modellsystem, welches das informationsverarbeitende Teilsystem der betrieblichen Diskurswelt und der relevanten Umwelt abbildet. Die Konstruktionsregeln werden durch die zugehörigen Metamodelle bzw. Modellierungssprachen sowie weitere Gestaltungsprinzipien spezifiziert.
Die Gestaltung von Informationssystem-Architekturen erfordert spezielle Methoden, Modelle und Werkzeuge. Gründe hierfür sind insbesondere:

  • Die Gestaltung von Informationssystem-Architekturen ist wie jede Modellerstellung der Subjektivität des die betriebliche Diskurswelt/Umwelt rekonstruierenden Modellierers unterworfen. Explizite Gestaltungsprinzipien (z. B. Paradigmen, Metaphern, Betrachtungsweisen) stellen methodische Hilfsmittel dar, um diese subjektiven Einflüsse zu beherrschen und Informationssystem-Architekturen für die intersubjektive Kommunikation unterschiedlicher Nutzergruppen einsetzen zu können.

  • Informationssystem-Architekturen weisen im Allgemeinen eine hohe Komplexität auf. Um diese Komplexität beherrschen zu können, werden Informationssystem-Architekturen unter Nutzung geeigneter methodischer Hilfsmittel in Modellebenen und Sichten unterteilt, deren Verwaltung durch entsprechende Werkzeuge unterstützt wird.

Die Bildung von nach sachlichen Kriterien abgegrenzten Modellebenen und die explizite Spezifikation der Beziehungen zwischen Modellebenen machen zudem wichtige Freiheitsgrade bei der Gestaltung von Informationssystem-Architekturen sichtbar. So unterstützt z. B. die Differenzierung von Aufgaben- und Aufgabenträgerebene die zielorientierte Gestaltung der Automatisierung des Informationssystems.

Informationssystem-Architektur und verwandte Architekturbegriffe

Im Weiteren wird von einer weit gefassten Abgrenzung des Begriffs Informationssystem ausgegangen, wonach ein Informationssystem das informationsverarbeitende Teilsystem einer Organisation darstellt, welches neben den informationsverarbeitenden Aufgaben auch die zugehörigen Aufgabenträger (IT-Systeme bzw. Anwendungssysteme und Menschen) umfasst ([Heinrich, Heinzl, Roithmayr 2007, S. 3 ff.], [Ferstl, Sinz 2013, S. 3 f.]). Die Informationssystem-Architektur spezifiziert folglich die Architektur dieses betrieblichen Informationssystems.

In enger Beziehung zum Begriff Informationssystem-Architektur steht der Begriff Unternehmensarchitektur. Eine Unternehmensarchitektur umfasst neben dem betrieblichen Informationssystem u. a. auch die Erstellung physischer Leistungen sowie den Unternehmensplan und die zugehörigen Strategien. Einen umfassenden Überblick zum Stand von Unternehmensarchitekturen in Literatur und Praxis geben [Aier, Riege, Winter 2008].

Im Gegensatz dazu bezieht sich der Begriff Anwendungssystem-Architektur auf die Architektur der Anwendungssysteme als maschinelle Aufgabenträger eines Informationssystems einschließlich der zugehörigen IT-Infrastruktur.

Unbeschadet ggf. unterschiedlicher Detaillierungsgrade der genannten Architekturen stellt die Informationssystem-Architektur ein Teilsystem der Unternehmensarchitektur und die Anwendungssystem-Architektur ein Teilsystem der Informationssystem-Architektur dar. Viele der gebräuchlichen Methoden, Modelle und Werkzeuge lassen sich für die Gestaltung aller drei genannten Architekturen einsetzen.
Unternehmensarchitektur und Informationssystem-Architektur gehen nahtlos ineinander über. So lassen sich die nachfolgend angesprochenen Architekturkonzepte aus Sicht der Systemabgrenzung auch als Unternehmensarchitekturen klassifizieren. Gleichwohl liegt ihr inhaltlicher Schwerpunkt auf der Informationssystem-Architektur.

Generischer Architekturrahmen zur Beschreibung der Struktur von Informationssystem-Architekturen

Aus Gründen der Komplexitätsbewältigung werden Informationssystem-Architekturen im Allgemeinen in Modellebenen und zugehörige Sichten untergliedert. Durch die Wahl der Modellebenen, der auf diesen Modellebenen verwendeten Metamodelle bzw. Modellierungssprachen sowie der Sichten zur Repräsentation der Modellebenen werden charakteristische Merkmale der verschiedenen Architekturkonzepte festgelegt. Der in Abb. 1 dargestellte generische Architekturrahmen ermöglicht es, unterschiedliche Architekturkonzepte nach einem einheitlichen Schema zu beschrieben.

ArchRahm
Abb. 1: Generischer Architekturrahmen (vereinfacht) [Sinz 2002, S. 1056 ff.]

Der Architekturrahmen besitzt eine Menge von Gestaltungsmerkmalen, durch deren Ausprägungen ein bestimmtes Architekturkonzept charakterisiert wird:

  • Modellebenen: Jede Modellebene beschreibt das Informationssystem vollständig unter einem bestimmten Blickwinkel. Die Bildung von Modellebenen folgt einer Abgrenzung anhand inhaltlicher Kriterien. Beispiele für Modellebenen sind Aufgaben- und Aufgabenträgerebene, fachliche und softwaretechnische Ebene.

  • Metamodelle bzw. Modellierungssprachen legen die Beschreibungsform für jede einzelne Modellebene fest. Beispiele für Modellierungssprachen sind die Unified Modeling Language (UML), die Business Process Modeling Notation (BPMN) oder das Entity-Relationship-Modell (ERM).

  • Sichten stellen bestimmte Aspekte einer Modellebene dar und eröffnen dadurch eine weitere Form der Komplexitätsbewältigung. Sie werden formal als Projektionen auf das Metamodell der jeweiligen Modellebene definiert. Beispiele sind struktur- und verhaltensorientierte Sichten, etwa dargestellt durch Klassen- und Aktivitätsdiagramme gemäß UML.

  • Paarweise Beziehungen zwischen Modellebenen werden mithilfe von Beziehungsmetamodellen beschrieben. Jedes Beziehungsmetamodell verknüpft bestimmte Metaobjekte einer Modellebene i mit Metaobjekten einer Modellebene j. Beziehungsmetamodelle beschrieben damit den inhaltlichen Zusammenhang zwischen Modellebenen und verknüpfen deren Metamodelle zu einem integrierten Metamodell. Sie stellen eine wichtige Grundlage für modellgetriebene Ansätze der Architekturentwicklung (Model Driven Architecture; MDA) [OMG 2014] dar.

Ausgewählte Architekturkonzepte zur Gestaltung von Informationssystem-Architekturen

Im Folgenden werden drei ausgewählte Architekturkonzepte zur Gestaltung von Informationssystem-Architekturen auf der Basis des generischen Architekturrahmens charakterisiert [Sinz 2002]:

  • Die Architektur integrierter Informationssysteme (ARIS) ([Scheer 1995, 4 ff.], [Scheer 1998, 1 ff.]) stellt ein universell verwendbares Architekturkonzept für Informationssysteme dar. ARIS gliedert eine Informationssystem-Architektur primär in Sichten und sekundär in Modellebenen. ARIS definiert eine Daten-, eine Funktions-, eine Organisations- und eine Leistungssicht. Das Zusammenwirken der Artefakte dieser Sichten wird durch eine zentrale Steuerungssicht spezifiziert. Innerhalb der einzelnen Sichten werden die Beschreibungsebenen Fachkonzept, DV-Konzept und Implementierung unterschieden. Diese korrespondieren mit den Modellebenen des generischen Architekturahmens. Beispiele für Modellierungssprachen im Umfeld von ARIS sind Ereignisgesteuerte Prozessketten (EPK) für die Beschreibung der Steuerungssicht und ein erweitertes Entity-Relationship-Modell (ERM) für die Datensicht.

  • Das Handels-H-Modell [Becker, Schütte 2004, S. 42 ff.] stellt ein Architekturkonzept für Handelsinformationssysteme dar, welches die Funktionen des Beschaffungsbereichs und die des Vertriebsbereichs über das Lager koppelt. Hinzu kommen querschnittliche Funktionen für betriebswirtschaftlich-administrative Aufgaben sowie für Managementaufgaben. Das Handels-H-Modell umfasst eine fachliche Modellebene mit Sichten für Prozesse, Daten und Funktionen. Zur Beschreibung der Sichten werden insbesondere EPK, Varianten des ERM bzw. Funktionsbäume eingesetzt.

  • Das Semantische Objektmodell (SOM) ([Ferstl, Sinz 2006], [Ferstl, Sinz 2013, S. 194 ff.]), ist eine umfassende Methodik zur Unternehmensmodellierung. SOM unterschiedet die drei Modellebenen (1) Unternehmensplan (Außenperspektive eines Unternehmens), (2) Geschäftsprozessmodell (Innenperspektive, Aufgabenebene) und (3) Spezifikation der Ressourcen (Innenperspektive, Aufgabenträgerebene). Auf Ebene 3 steht die Spezifikation der Anwendungssysteme im Mittelpunkt. Für alle drei Ebenen ist je eine struktur- und eine verhaltensorientierte Sicht definiert. Die Modellierung auf den Modellebenen 2 und 3 erfolgt durchgängig in objektorientierter Form. Zusätzlich wird ein transaktionsorientiertes Konzept zur Modellierung der Koordination von Objekten in Geschäftsprozessen eingesetzt.

Eine weitere Gruppe von Architekturkonzepten zielt weniger auf die konkrete Strukturierung von Informationssystem-Architekturen anhand von Modellebenen und Sichten, sondern vielmehr allgemein auf die Bestandteile von Informationssystem-Architekturen und deren Interdependenzen. Ein Beispiel hierfür ist das Modell der ganzheitlichen Informationssystem-Architektur [Krcmar 2005, 43 f.]. Eine Vielzahl von Architekturkonzepten, z. B. in Form von Referenzarchitekturen und Frameworks, existiert im erweiterten Bereich der Unternehmensarchitekturen. Das GERAM-Framework (Generalised Enterprise Reference Architecture and Methodology) [GERAM 1999] stellt einen Versuch dar, diesen einen gemeinsamen Ordnungsrahmen zu geben. Eine aktuelle Entwicklungslinie im Bereich der Architekturkonzepte wird durch die Einbeziehung serviceorientierter Architekturen markiert (siehe z. B. [Offermann et al. 2007]).

Werkzeuge für Informationssystem-Architekturen

Die Erstellung, Pflege und Nutzung von Informationssystem-Architekturen ist ohne eine geeignete Werkzeugunterstützung nicht möglich. Die Palette der Werkzeuge umfasst universelle Modellierungswerkzeuge (z. B. die auf UML ausgerichteten Rational-Rose-Werkzeuge [IBM] 2008), Modellierungswerkzeuge mit dem Fokus Geschäftsprozessmanagement (z. B. ARIS Toolset [Software AG 2014]) und spezielle Werkzeuge für das Management von Unternehmensarchitekturen [IFEAD 2007].



Literatur

Aier Stephan ; Riege, Christian ; Winter, Robert: Unternehmensarchitektur – Literaturüberblick und Stand der Praxis. In: WIRTSCHAFTSINFORMATIK 50 (2008), Nr. 4, 292 – 304.

Ferstl, Otto K. ; Sinz, Elmar J.: Modeling of Business Systems Using SOM. In: Bernus, Peter ; Mertins, Kai ; Schmidt, Günter (Eds.): Handbook on Architectures of Information Systems. 2nd Edition. Berlin : Springer, 2006, S. 347 – 367.

Ferstl, Otto K. ; Sinz, Elmar J.: Grundlagen der Wirtschaftsinformatik. 7. Auflage. München : Oldenbourg, 2013.

GERAM: Generalised Enterprise Reference Architecture and Methodology. Version 1.6.3 (March 1999). IFIP–IFAC Task Force on Architectures for Enterprise Integration. http://www.cit.gu.edu.au/~bernus/taskforce/geram/versions/geram1-6-3/v1.6.3.html (Abruf 26.08.2014).

Heinrich, Lutz J. ; Heinzl, Armin ; Roithmayr, Friedrich: Wirtschaftsinformatik. Einführung und Grundlegung. 3. Auflage. München : Oldenbourg, 2007.

IBM: http://www-03.ibm.com/software/products/en/ratirosefami (Abruf 26.08.2014).

IFEAD: Enterprise Architecture Tools. Institute For Enterprise Architecture Developments. 2007. http://www.enterprise-architecture.info/EA_Tools.htm (Abruf 26.08.2014).

Krcmar, Helmut: Informationsmanagement. 4. Auflage. Berlin : Springer 2005.

Offermann, Philipp ; Schröpfer, Christian ; Schönherr, Marten ; Ahrens, Maximilian: Entwurf eines Enterprise Architecture Frameworks für serviceorientierte Architekturen. Betrachtung am Beispiel einer erweiterten UN/CEFACT Modeling Methodology. In: Oberweis, Andreas ; Weinhardt, Christof ; Gimpel, Henner ; Koschmider, Agnes ; Pankratius, Victor ; Schnitzler, Björn (Hrsg.): eOrgaisation: Service-, Prozess-, Market-Eingineering. 8. Internationale Tagung Wirtschaftsinformatik. Band 1. Karlsruhe : Universitätsverlag. S. 549 – 566.

OMG: http://www.omg.org/mda/ (Abruf am 26.08.2014)

Scheer, August-Wilhelm: Wirtschaftsinformatik. Referenzmodelle für industrielle Geschäftsprozesse. Studienausgabe. Berlin : Springer, 1995.

Scheer, August-Wilhelm: ARIS – Modellierungsmethoden, Metamodelle, Anwendungen. 3. Auflage. Berlin : Springer, 1998.

Sinz, Elmar J.: Architektur von Informationssystemen. In: Rechenberg Peter ; Pomberger Gustav (Hrsg.): Informatik-Handbuch. 3. Auflage. München : Hanser, 2002, S. 1055 – 1068.

Software AG: ARIS Toolset. http://www.softwareag.com/de/products/aris/bpa/overview/default.asp (Abruf 26.08.2014).

 

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