Bibtex

@InCollection{,
  Year    = "2019", 
  Title    = "Design Thinking", 
  Author    = "Brenner, Prof. Dr. Walter", 
  Booktitle    = "Gronau, Norbert ; Becker, Jörg ; Kliewer, Natalia ; Leimeister, Jan Marco ; Overhage, Sven (Herausgeber): Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik – Online-Lexikon",
  Publisher    = "Berlin : GITO",
  Url    = "https://wi-lex.de/index.php/lexikon/entwicklung-und-management-von-informationssystemen/systementwicklung/vorgehensmodell/design-thinking/", 
  Note    = "[Online; Stand 19. April 2024]",
}

Design Thinking

Walter Brenner, Falk Uebernickel (unter Mitarbeit von Jennifer Hehn)


Design Thinking rückt zunehmend in den Fokus des allgemeinen Interesses. Es verspricht innovative Lösungen zu komplexen Problemstellungen, die ganz auf die Bedürfnisse von Nutzern und Kunden ausgerichtet sind. In der Praxis wird Design Thinking häufig als Innovationsprozess, Werkzeugkasten und/oder Mindset verstanden.

Was ist Design Thinking

Design Thinking ist ein Problemlösungsansatz, der die Arbeitsweisen und -prinzipien von Designern nutzt, um innovative und mensch-zentrierte Lösungen zu entwickeln. Der Einsatz von multidisziplinären Teams, qualitativen Forschungsmethoden und schnell gebauten Prototypen sowie ein iteratives Vorgehen mit divergierenden und konvergierenden Phasen sind wesentliche Elemente (Uebernickel et al. 2015). Der Begriff „Design“ bezieht sich dabei nicht nur auf rein ästhetische und formgebende Aktivitäten, sondern auch auf die kreative und konzeptionelle Gestaltung von ganzen Lösungen und Systemen. Mit Design Thinking werden vorwiegend sogenannte „wicked problems“ angegangen, die als besonders komplex, unscharf und uneindeutig in der Lösung gelten (Buchanan 1992). Hierbei können gleichermaßen Produkte, Dienstleistungen, Prozesse und Geschäftsmodelle entwickelt werden, sowohl im B2C, als auch im B2B Bereich.

Das heutige Interesse für Design Thinking ist vor allem IDEO, einer Design Agentur aus Palo Alto, Kalifornien, zuzuschreiben. Tim Brown, CEO von IDEO und einer der Hauptadvokaten der Methode, hat Design Thinking auch für Nicht-Designer greifbar gemacht und in den Mittelpunkt heutiger Innovationsdiskussionen gerückt (Brown 2008). Die Ursprünge von Design Thinking jedoch reichen zurück in die späten 1960er. Herbert Simon adaptierte als einer der ersten die Denkweisen von Designern, um komplexe Probleme bei der Produktentwicklung, Strategieplanung oder Bewältigung von Veränderungsprozessen zu lösen (Simon 1972). Auch die Stanford Universität und das Center for Design Research integrierten Design Thinking Prinzipien schrittweise in das Curriculum der Ingenieurwissenschaften und praktiziert nun schon seit Jahrzehnten diesen Ansatz. Mittlerweile haben sich zudem Unternehmen wie SAP oder IBM Design Thinking mit wirtschaftlichem Erfolg zu eigen gemacht (Forrester Research Inc. 2018). Zahlreiche Design Thinking Programme zur Popularität bei, wie die d.school in Stanford, das Hasso-Plattner-Institut in Potsdam (Plattner, Meinel, Leifer 2011) und die Universität St.Gallen, die Design Thinking in die Ausbildung von zukünftigen Managern integriert.

Design Thinking Prinzipien

Design Thinking basiert auf den folgenden wesentlichen Prinzipien:

Design Thinking stellt den Menschen in den Mittelpunkt allen Handelns: Der Gestaltungs- und Innovationsprozess im Design Thinking geht immer vom Menschen und dessen Bedürfnissen aus, sowohl um das Problem zu verstehen, als auch um Lösungsoptionen zu testen. Davon werden dann Anforderungen an die technische und wirtschaftliche Gestaltung abgeleitet und in Form von Prototypen visualisiert (Kolko 2015).

Design Thinking lebt von multidisziplinärer Teamarbeit: Die einzelnen Phasen von Design Thinking sowie die Komplexität der meisten Problemstellungen bedarf verschiedener Fähigkeiten und Kompetenzen. Lösungen werden normalerweise in Kollaboration, sowohl mit dem Kunden/Nutzer, als auch mit einem multidisziplinären Team erarbeitet. So wird ein ganzheitliches Problemverständnis erzeugt und Ideen generiert, die über die eigenen Fachgrenzen hinausgehen. Der einzelne Design Thinker einem sogenannten „T-Profil“ entsprechen. Die Vertikale des „T“ entspricht dem tiefgehenden fachlichen Wissen, das es erlaubt, einen konkreten Beitrag zur Lösung zu leisten. Die Horizontale des „T” repräsentiert die allgemeine Fähigkeit, sich mit anderen Spezialisten auszutauschen und eine generelle Offenheit gegenüber neuen Ideen, Menschen und Handlungsweisen zu entwickeln.

Design Thinking kombiniert divergierendes und konvergierendes Denken:  Im Design Thinking geht es darum, mögliche Optionen nicht zu schnell auszuschließen, sondern zunächst auch verrückt erscheinende Alternativen zu explorieren (divergierendes Denken). Das konvergierende Denken hingegen greift bewusst auf vorhandenes Wissen zurück, um mit Hilfe bekannter Regeln und Gesetzmäßigkeiten Informationen zu strukturieren und erklären. Mit Design Thinking werden beispielweise Ideen, die durch divergierendes Denken erzeugt worden sind, thematisch zusammengefasst, priorisiert und mit Blick auf die Realität angeordnet. Das Wechselspiel beider Denkprozesse fördert die Zusammenarbeit verschiedener Persönlichkeitstypen, wie dem freigeistigen Assoziierer, der Unbekanntes mag, aber auch dem detailorientierten Strukturierer, der Sachverhalte analysiert und ordnet.

Design Thinking nutzt Prototypen zum Experimentieren und Entwickeln: Prototypen erfüllen verschiedene Funktionen: (1) das Testen von Ideen mittels einer konkreten Form, (2) die Generierung neuer Ideen durch den Stimulus des Prototyps, (3) die Evaluation der Lösungsqualität und (4) die Kommunikation mit verschiedenen Interessensgruppen (Uebernickel et al. 2015). Beim Prototyping werden für erste Ideen häufig einfache Papiermodelle oder Rollenspiele verwendet. Werden die Ideen konkreter, wird auch die Auflösungsstufe der Prototypen erhöht, sodass am Ende oft klickbare Mockups entstehen, die die wesentlichen Funktionen sowie die User Experience illustrieren.

Design Thinking ist iterativ („Fail early and often“): In frühen Prozessphasen wird Scheitern als notwendig akzeptiert, um das Risiko einer Fehlentwicklung und die damit verbundenen Kosten langfristig zu verringern (Kelley und Kelley 2015). Im Design Thinking wird besonderer Wert auf die Iteration gelegt, um kontinuierlich neue Ideen zu entwickeln, Erkenntnisse zu hinterfragen und alternative Szenarien zu betrachten. Mit jeder Iteration nähert sich das Design Thinking Team der schlussendlichen Lösung an.

Anwendung von Design Thinking

In der Praxis wird Design Thinking auf drei verschiedene Art verstanden: (1) als (Innovations-)Prozess (2) als Werkzeugkasten (3) als Geisteshaltung (Mindset) mit einem Set an Prinzipien (Brenner et al. 2016).

Design Thinking als Prozess

Design Thinking Prozessmodelle geben eine Struktur vor, um systematisch neue Ideen zu entwickeln, vor allem dann, wenn komplexe Herausforderungen aus Wirtschaft und Gesellschaft gelöst werden sollen. Vertreter verschiedener Schulen haben idealtypische Prozessmodelle entwickelt, die zwar unterschiedlich aussehen, aber grundsätzlich den gleichen Prinzipien folgen. Die Universität St.Gallen unterscheidet den Makro- und Mikrozyklus. Der Mikrozyklus (Abbildung 1) integriert sich in den Makrozyklus, der wiederum den gesamten Projektverlauf in Teilphasen mit definierten Meilensteinen darstellt (Abbildung 2).

Abb. 1: Design Thinking Mikrozyklus der Universität St.Gallen (Brenner et al. 2016)

Der Mikrozyklus gliedert sich in folgende Schritte, die innerhalb eines Innovationsprojektes iterativ durchlaufen werden:

(1)   Problem Definition: Erfassung und Definition der Problemstellung (im Team)

(2)   Needfinding und Synthese: die (latenten) Bedürfnisse von potentiellen Nutzern und Kunden werden identifiziert, z.B. durch Interviews und Beobachtungen

(3)   Ideengenerierung: Ideen werden basierend auf den erkannten Bedürfnissen mit Hilfe von Kreativitätstechniken entwickelt

(4)   Prototyping: Ideen werden visualisiert und erlebbar gemacht,

(5)   Testen: Feedback zu den Prototypen wird gesammelt, um zu lernen, ob der Lösungsvorschlag überhaupt ein relevantes Problem löst

(6)  Problem Re-Definition: Reflektion und Evaluierung der Testergebnisse und Entscheidung über die nächsten Schritte (z.B. erfüllt der Prototyp die Bedürfnisse, erfolgt meist eine höhere Auflösungsstufe des Prototyps; erfüllt er diese nicht, wird ein erneuter Durchlauf durch den Zyklus vollzogen

Abb. 2: Design Thinking Makrozyklus der Universität St.Gallen (Brenner et al. 2016)

Der Makrozyklus unterscheidet sieben Phasen: die „Design Space Exploration“, die den Problemraum erkundet und erstes Verständnis für die Bedürfnisse relevanter Anspruchsgruppen schafft, sowie sechs Prototyping Phasen mit unterschiedlichen Zielen. Die ersten zwei sind dem divergenten, die letzten vier dem konvergenten Denken und Handeln gewidmet.  In der „Critical Function Prototyp“ Phase werden erste einfache Prototypen gebaut, welche die wichtigsten Funktionen einer möglichen Lösung abbilden. Die „Dark Horse“ Phase produziert dann Prototypen, die zuvor getroffene Annahmen in Frage stellen. Wenn man sich beispielsweise mit einer Problemstellung zu innerstädtischem Verkehr beschäftigt, könnte die Gegenannahme getroffen werden, es gäbe überhaupt keine Personenkraftfahrzeuge. So wird der Lösungsraum massiv erweitert und es entsteht Raum für innovative unkonventionelle Lösungen. Der „Funky Prototyp“ integriert die erfolgreichsten Prototypen (oder Elemente) aus den vorhergehenden Phasen und fügt sie zu systemischen Lösungen zusammen. Im „Functional Prototyp“ wird schließlich die Vision der finalen Lösung definiert und gefestigt, wovon zunächst eine relevante Funktion („X-is finished“) ausgearbeitet wird. So kann der Umsetzungsaufwand später besser abgeschätzt werden. Der letzte Schritt führt zu einem möglichst vollständig ausgearbeiteten „Final Prototyp“, der die Kernfunktionen der Lösung realitätsnah abbildet.

Design Thinking als Werkzeugkasten

Während eines Projektes, das mit Design Thinking durchgeführt wird, kommen zahlreiche Werkzeuge zum Einsatz (z.B. Brainstorming, Methoden aus der Ethnografie, Darstellungs- und Präsentationstechniken). Nutzt man Design Thinking als Werkzeugkasten, so werden einzelne Methoden kontextbezogen ausgewählt, um sie in Workshops oder laufenden Projekten einzusetzen. Zum Beispiel könnte man mit Interviews in einer Zielgruppe und ausgewählten Synthese Werkzeugen wie der Empathy Map ein Grundverständnis für eine bestimmte Nutzergruppe schaffen. Unternehmen wählen diesen Ansatz vor allem dann, wenn sie keine oder nur wenig Änderung an bestehenden organisationalen Strukturen vornehmen möchten (Uebernickel et al. 2015, S.261).

Design Thinking als Mindset (Geisteshaltung)

Das Verständnis von Design Thinking als Mindset betont, dass wesentliche Prinzipien wie „fail early and often“ unabhängig von vorgegeben Prozessen oder Werkzeugen, tief im Handeln und Denken verwurzelt sind. Oft geschieht dies, wenn ein Unternehmen mehrere Innovationsprojekte mit Design Thinking erfolgreich durchlaufen hat und die Methoden natürlich in das tägliche Arbeiten integriert sind. In diesen Unternehmen werden beispielsweise ganz selbstverständlich an vielen Sitzungen testbare Prototypen und Erkenntnisse aus Tests mit Nutzern gefordert.

Design Thinking und der Raum

Design Thinking wird oft mit Innovationslaboren und kreativen Räumlichkeiten in Verbindung gebracht. Auch wenn die Schaffung eines Kreativraums keine notwendige Bedingung für das Anwenden von Design Thinking ist, so können gewisse Räumlichkeiten förderlich sein. Um die Kreativität zu erhöhen, empfiehlt sich eine flexible und variable Arbeitsumgebung, die den verschiedenen Phasen des Design Thinking Rechnung trägt (z.B. Ruheräume zum Denken, Teamräume zum gemeinsamen Arbeiten). Designierte Projekträume helfen, dass Zeichnungen, Fotos und Informationen aus der Needfinding Phase ungestört ausgebreitet werden können. Darüber hinaus schafft der Zugang zu Prototyping Einrichtungen (wie Maker Spaces) eine Erleichterung, wenn zeitnah erste Ideen veranschaulicht und erlebbar gemacht werden sollen (Uebernickel et al. 2015, S.221ff).


Literatur

Brenner, Walter; Uebernickel, Falk; Abrell, Thomas: Design Thinking as Mindset, Process, and Toolbox. In: Design Thinking for Innovation: Research and Practice, Walter Brenner und Falk Uebernickel (Ed.), Cham: Springer International Publishing Switzerland, 3-21, 2016.

Brown, Tim: Design Thinking, Harvard Business Review (86:6), 84-92, 2008.

Buchanan, Richard: Wicked Problems in Design Thinking. In: Design Issues (8:2), 5-21, 1992.

Forrester Research Inc.: The Total Economic Impact of IBM’s Design Thinking Practice. How IBM Drives Client Value and Measurable Outcomes with its Design Thinking Framework. Forrester Research Total Economic Impact Study, 2018.

Kelley, Tom; Kelley, David: Reclaim Your Creative Confidence. In: Harvard Business Review (90:12), 115-8, 2012.

Kolko, Jon: Design Thinking Comes of Age. In: Harvard Business Review (93:9), 67-71, 2015.

Hasso Plattner, Christoph Meinel, Larry Leifer (Ed.): Design Thinking: Understand – Improve – Apply, Berlin Heidelberg: Springer-Verlag, 2011

Simon, Herbert A.: The Sciences of the Artificial, Cambridge: London, 1972.

Uebernickel, Falk; Brenner, Walter; Naef, Therese; Pukall, Britta; Schindlholzer, Bernhard: Design Thinking: Das Handbuch, Frankfurt: Frankfurter Allgemeine Buch, 2015.

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