Joachim Fischer (unter Mitarbeit von Albert Michael Sauter)
E-Commerce im Wandel
Treiber Technologie
Handel bedeutet Wandel – dieses Sprichwort gilt auch im E-Commerce. Ein Treiber dabei ist die Entwicklung der Endgeräte beim Käufer, die immer leistungsfähiger und zudem kostengünstiger werden. Diese Endgeräte sind zum einen in der Lage, das Umfeld des Käufers und der genutzten Produkte immer detaillierter zu erfassen und zu kommunizieren (Sensoren), zum zweiten sind sie fähig, Alternativen zum aktuellen Umfeld zu entwickeln und zu präsentieren (künstliche Realität – augmented reality).
Die Sensoren können dabei stationär (z. B. in Häusern, an Arbeitsplätzen, an Ladenregalen), mobil z. B. am Käufer („wearables“) oder in dessen Umfeld (Drohnen, intelligente PKW) platziert sein und Zustände des Käufers quantitativ (z. B. über dessen Körper: Herzfrequenz / Pulsschlag, Temperatur, Atemfrequenz) oder qualitativ (z. B. Gesichtsausdruck) erfassen. Ähnlich kann die Präsentation eines alternativen Umfeldes auch stationär (über Bildschirme) und mobil (z. B. über Smartphones, Datenbrillen) erfolgen. Selbstverständlich kann dieses situativ und personifiziert erfolgen. Drittens erfolgt die Erfassung und Präsentation jedoch nicht nur individuell, sondern die Ergebnisse werden z. B. im Freundeskreis oder in Sportgemeinschaften über soziale Netze multimedial ausgetauscht. Dort kann auch eine kontinuierliche Kommunikation zwischen sich ergänzenden Produktanbietern und -nutzern stattfinden und Erfahrungen der Käufers werden quantitativ (z.B. Anzahl der posts) und qualitativ (Kritik, Lob) erfasst. Die technischen Möglichkeiten sind vielfältig, werden immer kostengünstiger und sind durch die Entwicklung u. a. elektronischer Spiele meist einige Jahre vorher gut abschätzbar.
Potentiale für den Handel
Die resultierenden geschäftlichen Potentiale im Handel in der Kundenberatung, der Individualisierung der Produkte (mass customization), in der Warenpräsentation, sowie beim Trenderkennung durch die Kommunikation in den sozialen Netzen werden seit vielen Jahren in der Literatur geschildert und wurden zum Teil in Pilotprojekten erprobt. Deren Realisierung setzt allerdings voraus, dass es den Handelsunternehmen gelingt, ihre Informations- und Warenlogistik darauf auszurichten. Beim klassischen E-Commerce hat Amazon sich schrittweise vom Buch- zum Universalversand gewandelt und dabei gezeigt, dass eine inhaltlich und zeitlich kundenindividuelle Informations- (Buch- und Warenrezensionen) und Warenlogistik ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist. Lieferant der Informationen und Waren sind jeweils Dritte!
E-Commerce jetzt im Fachhandel?
Ein sensorgestütztes E-Commerce erfordert eine eigenständige Informationslogistik, die sich nicht auf einzelne Artikel, sondern auf Ausstattungen von Räumen, Fahrzeugen, Personen etc. für bestimmte Zwecke (z. B. sportliche Leistungen, Reiseziele, medizinische Therapien) bezieht. „Augmented Reality“ kann alternative Konfigurationen geschmacklich darstellen, soziale Netze und Expertenforen können Beiträge leisten. Doch „Funktionsgarantien“ für Konfigurationen aus Artikeln verschiedener Hersteller erfordern viel Know how von Fachleuten (Handwerkern, Medizinern etc.), deren Zusammenarbeit zu organisieren ist und deren Ergebnisse zu dokumentieren sind. Expertensysteme können unterstützend wirken. Zudem sind, speziell bei Nutzung sozialer Netze, große Datenmengen zu verarbeiten und zu selektieren. In der Warenlogistik sind alle Artikel einer Konfiguration zeitlich abgestimmt bereitzustellen, da sie nur zusammen den gewünschten Zweck erfüllen. Über eine solche Logistikbasis verfügt(e) der Fachhandel, daher spricht aus heutiger Sicht einiges für dessen Renaissance im „sensorgestützten E-Commerce“. Er verfügt über das erforderliche Wissen zur Interpretation von Sensordaten für Ausstattungskonfigurationen. Fachverbände von Sportlern, Ärzten, Handwerkern können dabei unterstützen. Allerdings fehlt dem Fachhandel bisher mit wenigen Ausnahmen (z. B. im Bad-& Sanitärhandel) die Informationstechnologie zur Dokumentation von Sensordaten im Lebenszyklus alternativer Konfigurationen. Die notwendigen IT-Investitionen erfordern Kooperationen im Fachhandel oder es droht auch dort die Dominanz globaler Handelsplattformen.
Literatur
Fischer, J.; Wickenhöfer, A.: Sensorgestütztesr E-Commerce – die nächste Generation, in: Forschungsforum Paderborn (2015) 18,r S. 32 – 38
Mehrtens, M.: Konsumentenorientierte, interaktiver Vertriebsprozesse in der Sanitärbranche – unterstützt durch die Integration vonr elektronischer Kommunikation und Multimedia, Paderborn 2000
Piller, F.; Schoder, D.: Mass Customization undr Electronic Commerce – Eine empirische Einschätzung zur Umsetzung in deutschenr Unternehmen, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft 69 (1999),10, S.1111-1136
Sauter, A.M.: Konzeption eines rückkoppelnden Vertriebscontrollingverfahrensr für E-Commerce in einem hochdynamischen Technikumfeld – expliziert am Locationr Based Retail für einen Laufsporthändler, Paderborn 2016