Bibtex

@InCollection{,
  Year    = "2019", 
  Title    = "Digitale Transformation", 
  Author    = "Pousttchi, Prof. Dr. Key", 
  Booktitle    = "Gronau, Norbert ; Becker, Jörg ; Kliewer, Natalia ; Leimeister, Jan Marco ; Overhage, Sven (Herausgeber): Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik – Online-Lexikon",
  Publisher    = "Berlin : GITO",
  Url    = "https://wi-lex.de/index.php/lexikon/technologische-und-methodische-grundlagen/informatik-grundlagen/digitalisierung/digitale-transformation/", 
  Note    = "[Online; Stand 21. November 2024]",
}

Digitale Transformation

Der Begriff Digitale Transformation bezeichnet erhebliche Veränderungen des Alltagslebens, der Wirtschaft und der Gesellschaft durch die Verwendung digitaler Technologien und Techniken sowie deren Auswirkungen. Hierbei kann zwischen den Dimensionen Leistungserstellung, Leistungsangebot und Kundeninteraktion unterschieden werden.

Definition

Der Begriff Digitale Transformation bezeichnet erhebliche Veränderungen des Alltagslebens, der Wirtschaft und der Gesellschaft durch die Verwendung digitaler Technologien und Techniken sowie deren Auswirkungen.

Typischerweise wird der Begriff im engeren Sinne für die Teilmenge entsprechender Veränderungen von Unternehmen und Branchen verwendet, wobei zwischen den Dimensionen Leistungserstellung, Leistungsangebot und Kundeninteraktion unterschieden werden kann.

Treten die Veränderungen plötzlich und umbruchartig ein, wird hierfür der Begriff Disruption verwendet.

Ursachen

Die Digitale Transformation beruht auf der mittelbaren und unmittelbaren Wirkung des Einsatzes digitaler Technologien und Techniken auf organisatorische und ökonomische Gegebenheiten einerseits und neuartige Produkte und Dienstleistungen andererseits. Neben der stetig steigenden Rechenleistung und Miniaturisierung klassischer IT-Komponenten ist dabei deren allgegenwärtige Integration in Technik aller Art von Bedeutung, speziell in Verbindung mit:

  • Flächendeckendem Einsatz von Sensoren und Aktoren einschließlich Audio- und Videoaufzeichnung

  • Einsatz mobiler elektronischer Kommunikationstechniken zur Vernetzung und automatisierten Kommunikation mit sehr geringen Latenzzeiten

  • Umfassender Erhebung, Archivierung und Verarbeitung sehr großer Datenmengen mittels Big-Data-Techniken

  • Verschiedenen Techniken maschinellen Lernens

  • Fortgeschrittenen Formen der Mensch-Computer-Interaktion

Insbesondere die Kombination dieser Faktoren führt zu neuen Potentialen für umfassende Automatisierung im kognitiven und gemischt mechanisch-kognitiven Bereich. Ein aktuell diskutiertes Beispiel für ersteres ist etwa der automatisierte Vergleich von Vertragstexten, für zweiteres das autonom fahrende Fahrzeug oder die autonom fliegende Drohne.

Während im Bereich der Produktion Cyber-Physische Systeme im Mittelpunkt der Entwicklung stehen (Stichwort: Industrie 4.0), ist das zentrale Element der Digitalen Transformation im Endkundengeschäft das Smartphone. Durch dessen Kombination von Allgegenwärtigkeit, Kontextsensitivität, Identifizierungsfunktionen und Telemetriefunktionen (Turowski und Pousttchi 2003) bildet es für den Menschen die Schnittstelle zwischen realer und virtueller Welt und ermöglicht gleichzeitig, ihn und wesentliche Teile seines Verhaltens in (teil-)automatisierte Geschäftsprozesse zu integrieren. Hierzu tragen nicht nur die technischen Eigenschaften, sondern vor allem auch das spezifische Nutzungsparadigma für mobile Dienste und Anwendungen bei (Pousttchi und Goeke 2011).

Außerdem von Bedeutung für die Integration sind Techniken zur Simulation der Realität für den Menschen (Virtual Reality) und zur Ergänzung der Realität für den Menschen um elektronisch generierte Information (Augmented Reality).

Wirkung in Unternehmen

Digitale Transformation

Abb. 1: Dimensionen der Digitalen Transformation

Leistungserstellungsmodell (Value Creation Model)

Die erste Dimension der Digitalen Transformation umfasst den Einfluss auf die Erstellung von Produkten und Dienstleistungen einschließlich der dazu notwendigen Unterstützungsprozesse und der Organisation des Unternehmens. Seit Anfang der 1990er-Jahre ist bekannt, dass die Steigerung der Produktivität von Unternehmen durch den Einsatz von IT nicht in erster Linie ein technisches, sondern ein organisatorisches Problem darstellt (Scott Morton und Allen 1994) und die Erzielung von Effizienz- und Effektivitätsvorteilen (Davenport 1993) die prozessorientierte Umgestaltung des Unternehmens erfordert, damit der Technologieeinsatz an allen Ecken des “magischen Dreiecks” Kosten-Zeit-Qualität zu Verbesserungen führen kann (Hammer 1990). Entsprechende Prozesse erfordern auch eine veränderte Form des Managements (Picot et al. 1996). Diese Grundsätze gelten für den Einsatz moderner digitaler Technologien und Techniken uneingeschränkt (Habermann und Pousttchi 2009).

Im Mittelpunkt von Strategien für die Digitale Transformation stehen daher neben der Nutzung der neuen Technologien zunächst vor allem die Änderungen in der Leistungserstellung, strukturelle Änderungen und die zugehörigen finanziellen Aspekte (Matt et al. 2015).

Insbesondere für große Unternehmen stellen sich hier besondere Herausforderungen, da vielfach dysfunktionale Organisationsformen, die sich auch in der IT-Organisation und in der Systemlandschaft widerspiegeln, einer erfolgreichen Digitalen Transformation entgegenstehen.

Leistungsangebotsmodell (Value Proposition Model)

Die zweite Dimension der Digitalen Transformation umfasst den Einfluss auf die Produkte, Dienstleistungen und Erlösmodelle des Unternehmens.

Im Mittelpunkt steht dabei die mittelbare und unmittelbare Wirkung des Einsatzes digitaler Technologien und Techniken auf die Verbesserung bestehender Produkte und Dienstleistungen, auf das Angebot neuer oder sogar neuartiger Produkte und Dienstleistungen sowie auf Veränderungen der zugehörigen Erlösmodelle.

Die Nutzung neuer Möglichkeiten im Leistungsangebotsmodell unterliegt in klassischen Unternehmen häufig erheblichen Limitationen, wenn die Digitale Transformation des Leistungserstellungsmodells noch nicht abgeschlossen ist, während neu entstehende Wettbewerber ohne diese Hypothek agieren können.

Kundeninteraktionsmodell (Customer Interaction Model)

Die dritte Dimension der Digitalen Transformation umfasst den Einfluss auf Art und Inhalt der Interaktion mit Kunden. Wesentliche Kennzeichen sind die kanalübergreifende und ganzheitliche Gestaltung der Kundenbeziehung und die Einbeziehung automatisierter Kommunikation und moderner Formen der Datenanalyse.

Für klassische Unternehmen mit Filialnetz entsteht hier zunächst die Problematik, dass beim Umstieg der Kunden auf elektronische Kanäle der Differenzierungsaspekt des Filialnetzes an Bedeutung verliert, die Kosten jedoch in der Regel nicht im gleichen Maß reduziert werden können. Ein typisches Beispiel sind Banken (Pousttchi et al. 2015).

Eine neuartige Problematik entsteht darüber hinaus für eine Vielzahl von klassischen Unternehmen im Endkundengeschäft dadurch, dass Marktteilnehmer, die über sehr große und querschnittliche Endkundendaten verfügen und Big-Data-Techniken – insbesondere unter automatisierter Verwendung automatisierter induktiver Statistikmodelle – auf diesen anwenden können, zum Aufbau neuartiger Empfehlungs- und Marketing-Systeme befähigt werden, mit denen eine weitgehende Monopolisierung der Endkundenschnittstelle möglich wäre (“erster Ansprechpartner des Kunden”) und dieser dann auktionsweise an den eigentlichen Erbringer der Leistung vermittelt werden kann. Eine solche Marktmacht entsteht durch die Kontrolle marktführender Smartphone-Betriebssysteme (z.B. Apple, Google), dominierender Sozialer Netzwerke (z.B. Facebook/WhatsApp, WeChat) und dominierender elektronischer Einzelhändler (z.B. Amazon, AliBaba). (Pousttchi und Hufenbach 2014)

Wirkung in Alltagsleben, Wirtschaft und Gesellschaft

Die Digitale Transformation wirkt sich nicht nur in Unternehmen, sondern in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens aus.

So können die in Abb. 1 gezeigten Dimensionen mutatis mutandis beispielsweise auch auf das Verhältnis zwischen Staat und Bürger, auf den Bereich der Politik, der Bildung und der Medizin angewendet werden. Ein besonders beeindruckendes Beispiel für Digitale Transformation liefert hier die Bedeutung von der Anwendung von Big-Data-Techniken und Sozialen Netzwerken in den US-Präsidentschaftswahlkämpfen seit 2012.


Literatur

Davenport, T.H.: Process Innovation – Reengineering Work through Information Technology. Harvard Business Review Press. Boston 1993.

Habermann, K.; Pousttchi, K.: Requirements on IT business value measures for mobile-integrated business processes. In: Proceedings of the 17th European Conference on Information Systems (ECIS 2009). Verona 2009.

Hammer, M.: Reengineering Work: Don’t Automate, Obliterate. Harvard Business Review 69 (1990) 4, S. 104-113.

Matt, C.; Hess, T.; Benlian, A.: Digital Transformation Strategies, In: Business and Information Systems Engineering, 57 (2015) 5, S. 339-343.

Picot, A.; Reichwald, R.; Wigand, R.T.: Die grenzenlose Unternehmung. 1. Aufl., Gabler. Wiesbaden 1996.

Pousttchi, K.; Goeke L.: Determinants of customer acceptance for mobile data services: An empirical analysis with formative constructs. In: International Journal of Electronic Business 9 (2011) 1–2, S. 26-43.

Pousttchi, K.; Hufenbach, Y.: Engineering the value network of the customer interface and marketing in the data-rich retail environment. In: International Journal of Electronic Commerce 18 (2014) 4, S. 17-42.

Pousttchi, K.; Moormann, J.; Felten, J.: The impact of new media on bank processes – a Delphi study. In: International Journal of Electronic Business 12 (2015) 1, S. 1-45.

Scott Morton, M.S.; Allen, T.J. (Hrsg.): Information Technology and the Corporation of the 1990s. Oxford University Press. New York, 1994.

Turowski, K.; Pousttchi, K.: Mobile Commerce – Grundlagen und Techniken. Springer, Heidelberg 2003

 

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