Bibtex

@InCollection{,
  Year    = "2019", 
  Title    = "Warenwirtschaftssystem", 
  Author    = "", 
  Booktitle    = "Gronau, Norbert ; Becker, Jörg ; Kliewer, Natalia ; Leimeister, Jan Marco ; Overhage, Sven (Herausgeber): Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik – Online-Lexikon",
  Publisher    = "Berlin : GITO",
  Url    = "https://wi-lex.de/index.php/lexikon/inner-und-ueberbetriebliche-informationssysteme/sektorspezifische-anwendungssysteme/handel-anwendungssysteme-im/warenwirtschaftssystem/", 
  Note    = "[Online; Stand 21. November 2024]",
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Warenwirtschaftssystem

Axel Winkelmann


Das Warenwirtschaftssystem ist das zentrale IT-System in Handelsunternehmen. Es unterstützt die dispositiven, logistischen und abrechungsbezogenen Aufgaben eines Handelsunternehmens. Es ist zu unterscheiden zwischen zentralen Warenwirtschaftssystemen und Filialwarenwirtschaftssystemen, die als dezentrale Systeme nur Funktionalitäten der Filiale unterstützen.

Definition

Die Konzepte des Handels in Deutschland haben sich seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts wesentlich verändert, so dass die Bedeutung der IT und die Anforderungen, die an sie gestellt werden, zunehmend gewachsen sind. Analog hierzu erhöhte sich im letzten Jahrzehnt auch die Komplexität und Funktionsvielfalt der Warenwirtschaftssysteme (WWS) als zentrale IT-Systeme. Heutige IT-Systeme bieten integrierte Sichten auf die im Unternehmen anfallenden Daten und helfen, diese zur Informationsgewinnung einzusetzen. Dies führt in Anlehnung an [Becker, Schütte 2004, S. 46] letztlich zu der Definition:

Ein Warenwirtschaftssystem repräsentiert die warenorientierten dispositiven, logistischen und abrechnungsbezogenen Aufgaben eines Handelsunternehmens für die Durchführung der Geschäftsprozesse auf der Grundlage der wert- und mengenmäßigen Warenbewegungsdaten.

Dem WWS kommt damit analog zum Produktionsplanungs- und -steuerungssystem in der Industrie eine entscheidende Rolle bei der Informationsbeschaffung und dem Datenaustausch zu. Der Zustand und die Qualität eines Warenwirtschaftssystems determinieren in hohem Maße den Erfolg eines Handelsbetriebs und wirken sich durch systemimmanente Restriktionen nachhaltig auf die Strategie- und Organisationsgestaltung eines Handelsunternehmens aus.

Unterstützte Funktionen

“Die Warenwirtschaft ist das Herzstück der Administration in einem Handelsunternehmen: nur aus der Warenwirtschaft resultieren Gewinne.”
[Conradi 1989, S. 4]

Das WWS ist ein Sub-System der Handelsunternehmung, dem alle Gestaltungs- und Informationsaktivitäten mit Warenbezug zugeordnet werden. Warenwirtschaftssysteme existieren aus betriebswirtschaftlicher Sicht theoretisch auch ohne Einsatz von IT. Die zunehmende Bedeutung von computergestützten Verfahren hat jedoch auch in Kleinstunternehmen im Handel aus Effizienz- und Wettbewerbsgründen zu einem breiten Einsatz von IT-Systemen geführt.

Handels-H

Abb. 1: Handels-H-Architektur [Becker, Schütte 2004, S. 46]

Werden die zentralen Aufgaben des Handels gemäß dem Handels-H-Modell strukturiert, so lassen sich folgende funktional durch Warenwirtschaftssysteme primär unterstützte Bereiche unterscheiden:

  • Einkauf – Im Einkauf werden grundlegende Beschaffungsentscheidungen getroffen und entsprechende Lieferanten ausgewählt und Rahmenvereinbarungen getroffen.

  • Disposition – Die Disposition führt die zeitliche und mengenmäßige Platzierung von Bestellungen durch.

  • Wareneingang – Der Wareneingang gilt als mengenmäßig-logistisches Gegenstück zur dispositiven Bestellung und dient der Planung und Durchführung der Warenannahme. Hierzu gehört sowohl die Rampenbelegungsplanung als auch die physische Wareneingangserfassung, -einlagerung und Lieferscheinbewertung.

  • Rechnungsprüfung – In der Rechnungsprüfung werden Rechnungen einerseits mengenmäßig mit Bestellungen, Lieferscheinen und Wareneingangsscheinen abgeglichen und andererseits wertmäßig mit dem Preis- und Konditionsgefüge.

  • Marketing – Im operativen Marketing findet die Sortiments-, Produkt- und Preisplanung im Rahmen der Artikellistung statt. Auch die Konditionspolitik und Absatzwerbung sind Aufgaben des Marketings.

  • Verkauf – Die Aufgaben Verkauf, Warenausgang und Fakturierung sind analog zu den entsprechenden Aufgaben der Wareneingangsseite zu sehen. Im Rahmen der Verkaufsaufgaben werden Angebote gestellt,  Ordersätze erstellt, Aufträge bearbeitet und Reklamationen erfasst.

  • Warenausgang – Der Warenausgang ist zuständig für die Warenausbringung der verkauften Ware. Hierzu gehören die Planung und Durchführung von Kommissionierungen und Touren sowie die Versandabwicklung und Rückgaben- und Retourenbearbeitung.

  • Fakturierung – Analog zur Rechnungsprüfung werden die mengenmäßigen Ausgangbelege  erstellt (Abnehmerlieferschein, Rechnung, Berechnung nachträglicher Vergütungen).

  • Lager – Das Lager hat eine Überbrückungsfunktion zwischen Beschaffungs- und Absatzseite in zeitlicher, mengenmäßiger und logistischer Form. Die Ware kann z. B. in Zentral-, Regional- oder Filiallagern gelagert werden. Bei Geschäftsarten des Aktionsgeschäfts findet im Regelfall keine Vorratslagerung von Ware statt, sondern die Ware wird vollständig auf der Fläche abverkauft.

Die umfassende Abdeckung der genannten Aufgabenbereiche durch das Warenwirtschaftssystem hängt insbesondere von der Geschäftsart, dem Branchentypus und dem Sortiment des jeweiligen Handelsunternehmens bzw. des spezialisierten WWS ab. Daher existieren neben einigen eher universell aufgestellten Lösungen eine Vielzahl von Branchenlösungen, Nischenanbietern und funktional fragmentierten Lösungen. Vor allem bei mehrstufigen Handelsunternehmen baut die Warenwirtschaft traditionell auf einem zentralen WWS, das in der Zentrale betrieben wird, und dezentralen WWS in den Filialen oder Anschlusshäusern auf. Dabei deckt das Filialwarenwirtschaftssystem überwiegend Aufgaben vor Ort in der Zentrale ab, während das zentrale System die hier aufgeführten Funktionen unterstützt und die aus den dezentralen Systemen übermittelten Daten zusammenfasst und für den Betrieb der Zentrale bereithält. Es existieren jedoch auch zahlreiche Warenwirtschaftssysteme, die sowohl Filial- als auch Zentral-Funktionalität in sich vereinen.

Marktüberblick

Der deutschsprachige Markt für WWS umfasst insgesamt mehr als 300 warenwirtschaftliche Standardlösungen, von denen allerdings der Großteil auf Lösungen für Klein- und Kleinstunternehmen fällt. Unter Einbezug von Lösungen im Bereich Enterprise Resource Planning (ERP) lassen sich bis zu 600 Standardsysteme auf dem deutschen Markt identifizieren [Vering 2007, S 31, Gronau, Eggert 2006, Becker, Vering, Winkelmann 2007]. Viele Lösungen kommen trotz andersartiger Aussagen der Hersteller einer Individualentwicklung gleich, da sie nur für einen oder wenige Kunden entwickelt wurden. Nichtsdestotrotz verbleiben rund 100-200 nennenswerte Standard-Warenwirtschaftssysteme im deutschsprachigen Raum unter Berücksichtigung zahlreicher Branchen- und Speziallösungen. Der Markt für  Warenwirtschaftssysteme ist damit ebenso wie der gesamte Markt für betriebswirtschaftliche Anwendungslösungen von erheblicher Dynamik durch technologische und funktionale Überarbeitung bestehender Systeme, Fusionen und Marktaustritte sowie (wenige) Markteintritte gekennzeichnet. Aufgrund der hohen Aufwände und Kosten, die für eine technologische Neuentwicklung zu tätigen sind, kann davon ausgegangen werden, dass viele Hersteller, deren technologische Basis in die 80er- oder frühen 90er Jahre reichen, mittelfristig aus dem Markt durch Fusionen oder Aufkäufe ausscheiden werden [Winkelmann, Knackstedt, Vering 2007a, Winkelmann, Knackstedt, Vering 2007b].

Am Markt haben sich im Wesentlichen zwei diametrale Standards zur Ausgestaltung von WWS etabliert. Best-of-Breed-Ansätze bieten die Möglichkeit, Produkte verschiedener Anbieter zu kombinieren, um auf diese Weise das Anforderungsspektrum abzudecken. Ein Vorteil dieser Vorgehensweise ist in der funktionalen Flexibilität zu sehen, ein Nachteil jedoch in der redundanten Datenhaltung, heterogenen Benutzeroberflächen sowie den vielen vom Handelsunternehmen zu pflegende Schnittstellen zwischen den Teilapplikationen. Best-of-Breed wird im Regelfall als unternehmensindividuelle Strategie gewählt. In Einzelfällen existieren jedoch auch umfassende Kooperationen zwischen Herstellern, wie dies beispielsweise bei der Kooperation MoveRetail, in der sich u. a. maxess systemhaus, Salomon Automation, Remira, Superdata und POS Systemhaus zusammengeschlossen haben, der Fall ist. Im Gegensatz hierzu bieten integrierte Paketlösungen eines Herstellers idealtypisch alle Funktionen aus einer Hand unter einer zentralen Datenbasis. Hierbei kann zwischen handelsbranchen-übergreifenden sowie handelsbranchen-spezifischen Ansätzen unterschieden werden. Auch Enterprise Resource Planning (ERP)-Systeme bieten neben der Produktionsfunktionalität Handelsfunktionen.

Vor dem Hintergrund des großen Marktangebotes mit unterschiedlicher Funktionalität und strategischer Ausrichtung ist die Auswahl eines neuen WWS ein wichtiger Schritt für jedes Unternehmen. Eine unzureichend durchgeführte Softwareauswahl, bei der entweder die spezifischen Anforderungen und Ziele nicht angemessen formuliert wurden oder es nicht gelungen ist, die wirkliche Leistungsfähigkeit der Software richtig einzuschätzen, gilt als eines der Hauptrisiken für einen Einführungsmisserfolg. Die Einschaltung einer Beratungsfirma bei der WWS-Auswahl kann eine sinnvolle Variante zur Ergänzung des eigenen Know-Hows darstellen. Die Berater dieser Firma stehen bei der gesamten Projektdurchführung dem Unternehmen beratend zur Seite und nehmen dem Unternehmen viele Aufgaben ab bzw. ergänzen den Projektablauf durch ihr Fachwissen. Zusätzlich haben sich in den letzten Jahren zahlreiche Auswahlplattformen im Internet etabliert, die die Unternehmen dabei unterstützen, typische Fehler bei der Auswahl von WWS zu vermeiden. Häufige Fehler liegen beispielsweise in der Dauer des Auswahlprozesses, in einer fehlerhaften Zusammenstellung von Anforderungen, einer falschen Einschätzung des Anbieters sowie in methodischen Fehlern bei der Umstellung der Prozesse. Eine Softwareauswahlplattform ist im Regelfall eine Webanwendung, die es dem Nutzer ermöglicht, seine individuellen Anforderungen an ein System zu definieren und auf dieser Basis automatisiert Systemempfehlungen zu erhalten. Hierfür wertet das Auswahlportal in der Regel die definierten Anforderungen automatisiert aus und vergleicht sie mit den Eigenschaften der Systeme, die in der Datenbank hinterlegt sind. Die besten Übereinstimmungen werden dann als Empfehlungen an den Nutzer der Plattform weitergegeben [Becker, Richter, Winkelmann 2008].


Literatur

Becker, Jörg; Schütte, Reinhard: Handelsinformationssysteme. 2. Aufl., Frankfurt am Main : redline, 2004.

Becker, Jörg; Richter, Oliver; Winkelmann, Axel: Analyse von Plattformen und Marktübersichten für die Auswahl von ERP- und Warenwirtschaftssystemen. Arbeitsbericht 121. In: Arbeitsberichte des Instituts für Wirtschaftsinformatik. Münster 2008.

Becker, Jörg; Vering, Oliver; Winkelmann; Axel: Softwareauswahl und -einführung in Industrie und Handel : Vorgehen bei und Erfahrungen mit ERP- und Warenwirtschaftssystemen. Berlin : Springer, 2007.

Conradi, Erwin zitiert nach o. V.: Metros Lohn für perfekte Warenwirtschaft. In: Lebensmittel Zeitung, (1989) 19, S. 4.

Gronau, Norbert; Eggert, Sandy: Tagungsband zur Fachtagung Auswahl, Einführung und Integration von ERP-Systemen. Berlin : GITO-Verlag 2006.

Vering, Oliver: Marktübersicht WWS. In: Softwareauswahl und -einführung in Industrie und Handel : Vorgehen bei und Erfahrungen mit ERP- und Warenwirtschaftssystemen. Hrsg.: Jörg Becker, Oliver Vering, Axel Winkelmann. Berlin : Springer, 2007. S. 31-46.

Winkelmann, Axel; Knackstedt, Ralf; Vering, Oliver: Anpassung und Entwicklung von Warenwirtschaftssystemen : Eine explorative Untersuchung. Handelsstudie Nr. 3. Hrsg.: Jörg Becker, Münster 2007a.

Winkelmann, Axel; Knackstedt, Ralf; Vering, Oliver: Softwarequalität als Auswahlmerkmal : Eine empirische Untersuchung. In: Softwareauswahl und -einführung in Industrie und Handel : Vorgehen und Erfahrungen mit ERP- und Warenwirtschaftssystemen. Hrsg.: Jörg Becker; Oliver Vering; Axel Winkelmann. Berlin : Springer, 2007b. S. 47-60

 

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