Es gibt eine Vielzahl von Anwendungssystemen im Handel, die neben den Kernfunktionalitäten betriebswirtschaftlich-administrative und dispositive Prozesse unterstützen. Im Folgenden werden exemplarische wichtige Systemarten vorgestellt.
Anwendungssysteme im Handel
Die Unternehmenssoftware nimmt bei der Gestaltung von Geschäftsprozessen eine Schlüsselrolle ein. Die Erkenntnis, dass die Informationstechnik zu den kritischen Erfolgsfaktoren zählt, hat sich im Handel weitgehend durchgesetzt [Becker, Winkelmann 2004, Hertel, Zentes, Schramm-Klein 2011]. Neben der Möglichkeit, Unternehmensstrategien zu unterstützen, wird die IT und die dadurch ermöglichte Informationsqualität als wesentlicher Wettbewerbsfaktor gesehen. Die Höhe der IT-Budgets liegt durchschnittlich bei etwa 1-1,5% des Bruttoumsatzes [Becker, Winkelmann 2014, S. 106], kann aber auch deutlich hiervon abweichen [Becker, Glaser, Winkelmann 2008]. Gemessen am gesamten Einzelhandelsumsatz im engeren Sinne, werden somit etwa vier Milliarden Euro jährlich für Informationstechnik im Handel ausgegeben [Gerling, Spaan 2017].
Die Gesamtarchitektur der Anwendungssysteme im Handel wird als Handelsinformationssystem (HIS) bezeichnet [Schütte, Vering 2004, S. 43 f]. Das HIS unterstützt neben den betriebswirtschaftlichen Kernfunktionalitäten des Beschaffens, Lagerns und Verkaufens die betriebswirtschaftlich-administrativen sowie die dispositiven Aufgaben eines Handelsunternehmens. Es existieren zahlreiche Spezialsysteme für einzelne Aufgabenbereiche. Zudem decken viele Warenwirtschaftssysteme auch spezielle Aufgabenbereiche mit ab.
Abb. 1: Architektur von Handelsinformationssystemen [Becker, Schütte 2004, S. 46]
Zentralwarenwirtschaftssysteme
Das Warenwirtschaftssystem (WWS) koordiniert die warenorientierten dispositiven, logistischen und abrechnungsbezogenen Aufgaben eines Handelsunternehmens auf der Grundlage der wert- und mengenmäßigen Warenbewegungsdaten. Zentralwarenwirtschaftssysteme unterstützen die Kernfunktionalitäten Einkaufen, Lagern und Verkaufen der Zentrale. Typische Beispiele für Zentralwarenwirtschaftssysteme im Handel sind x-trade von maxess systemhaus oder oder gevis der GWS GmbH.
Filialwarenwirtschaftssysteme
Zur Erweiterung der IT-Unterstützung in der Filiale bietet sich zusätzlich zu den Kassensystemen ein eigenständiges Filialwarenwirtschaftssystem (FWWS) an [Becker, Vering, Winkelmann 2007, S. 9]. FWWS sind funktionsreduzierte Warenwirtschaftssysteme für den Filialeinsatz. Zu ihren Grundaufgaben gehört die Abwicklung der Filialwareneingänge, die Warenausgangs- bzw. Verkaufsdatenerfassung sowie ggf. die Lagerverwaltung und Bestandsführung in der Filiale. Ein in der Praxis gängiges Konzept stellt die Kopplung von dezentraler Funktionalität (Kassensysteme und Filialwarenwirtschaft) mit dem zentralen Warenwirtschaftssystem dar, was zu einem zeitnahen Austausch von Daten zwischen Filialen und Zentrale genutzt werden kann (3-stufiges Handelsinformationssystem). Typische Filialwarenwirtschaftssysteme sind z. B. DEWAS III von SuperData oder G.O.L.D. Shop von Aldata.
Dispositionssysteme
Dispositionssysteme bieten gegenüber einer manuellen Disposition von Warenbeständen eine deutliche Bestandsreduktion bei gleichzeitiger Erhöhung der Lieferbereitschaft [Becker, Winkelmann 2004, S. 128 f.]. Erreicht wird dies durch umfassendere Prognoseverfahren, u. a. verschiedene exponentielle Glättungen sowie Neuro-Fuzzy-Schätzer, und eine Disposition, welche sämtliche vereinbarten Konditionen berücksichtigt. Über teilweise vollautomatisch agierende Software werden Bestellungen entsprechend erlernter Abverkaufswerte und angenommener Bedarfe ausgelöst. Typische Dispositionssysteme sind u. a. LogoMate von Remira oder prismA von forseason.
Lagersteuerungssysteme
Die Automatisierung der Ein-, Aus- und Umlagerungsprozesse bedingt eine informatorische Unterstützung. Lagersteuerungssysteme stellen die technische Anbindung von Förderfahrzeugen sowie deren Steuerung sicher. Typische Systeme sind z. B. WAMAS von SSI Automation oder LAGOS von CAIB.
Space-Management-Systeme
Space-Management-Systeme unterstützen im Handel die Gestaltung und Planung der Regalflächenbelegung und deren optische Visualisierung. Ferner erlauben sie flächenbezogene Ertragsauswertungen als Hilfsmittel zur Optimierung der Regalflächennutzung sowie für Listungsentscheidungen. Typische Systeme sind z. B. Spaceman von AC Nielsen oder MoonRack von Numerikon.
Personalmanagement-Systeme
Personalmanagement-Systeme unterstützen die Personalverwaltung bei der Personaleinsatzplanung sowie der Planung der Aus- und Weiterbildung und dem Bewerbermanagement. Führende Systeme bieten in diesem Bereich umfassende Funktionen wie elektronische Personalakten oder Stellenprofilverwaltung. Darüber hinaus bieten die Systeme Zeiterfassungsfunktionalität. Zeiterfassungssysteme sind insbesondere für die Ermittlung der Anwesenheitszeiten und deren Zuordnung zu Kostenstellen von Bedeutung. Typische Personalsysteme sind ADP Payroll von ADP Employer Services oder Lexware lohn office von Lexware.
Literatur
Becker, Jörg; Glaser, Jörg; Winkelmann, Axel: IT-Verbundgruppenstudie 2008. Münster 2008.
Becker, Jörg; Schütte, Reinhard: Handelsinformationssysteme. 2. Auflage. Frankfurt am Main : redline Verlag, 2004.
Becker, Jörg; Vering, Oliver; Winkelmann, Axel: Softwareauswahl und -einführung in Industrie und Handel : Vorgehen bei und Erfahrungen mit ERP- und Warenwirtschaftssystemen. Berlin : Springer, 2007.
Becker, Jörg; Winkelmann, Axel: Handelscontrolling. Optimale Informationsversorgung mit Kennzahlen. 3. Auflage. Berlin : Springer, 2014.
Becker, Jörg; Winkelmann, Axel: Warenwirtschaft im 21. Jahrhundert : Bedeutung von IT im Handel. In: HMD, (2004) 235. S. 5-14.
Gerling, Michael; Spaan, Ulrich: IT-Trends im Handel. Köln 2017.
Hertel, Joachim; Zentes, Joachim; Schramm-Klein, Hanna: Supply-Chain-Management und Warenwirtschaftssysteme im Handel, 2. Aufl. Berlin : Springer, 2011.
Schütte, Reinhard; Vering, Oliver: Erfolgreiche Geschäftsprozesse durch standardisierte Warenwirtschaftssysteme : Marktanalyse, Produktübersicht, Auswahlprozess. 2. Auflage. Berlin : Springer 2004