Jan vom Brocke, Stefan Seidel, Jan Recker
Green Information Systems (Green IS) ist ein Teilgebiet der Wirtschaftsinformatik, das sich mit der Gestaltung, der Implementierung, dem Management, dem Einsatz und den Konsequenzen des Einsatzes von Informationssystemen im Kontext der nachhaltigen Entwicklung von Organisationen und der Gesellschaft befasst. Die World Commission on Environment und Development hat nachhaltige Entwicklung als eine Entwicklung definiert, welche die Bedürfnisse der Gegenwart bedient, ohne dabei die Fähigkeit zukünftiger Generationen einzuschränken deren eigene Bedürfnisse zu befriedigen. Nachhaltigkeit umfasst soziale, ökologische und ökonomische Dimensionen, wobei die aktuelle Diskussion in der Wirtschaftsinformatik einen Schwerpunkt in Bezug auf die ökologische Dimension setzt. Insbesondere wird die Rolle von Informationssystemen zur Erhöhung von Ressourceneffizienz und einer damit einhergehenden Reduktion von Emissionen und Energiekonsumption untersucht.
Green Information Systems (Green IS) als Teilgebiet der Wirtschaftsinformatik ist von Green Information Technology (Green IT) abzugrenzen. Während Green IT die Minderung negativer Effekte über den gesamten Lebenszyklus von Informationstechnologien (inklusive deren Herstellung, Betrieb und Entsorgung) zum Gegenstand hat [Jenkin et al. 2009; 2011; Molla et al. 2011; Watson et al. 2008], befasst sich Green IS mit der Rolle von Informationssystemen zur Gestaltung, zur Implementierung und zum Management nachhaltigen Handelns [Melville 2010; Watson et al. 2010]. Dabei wird hervorgehoben, dass Informationssysteme eine wesentliche Rolle bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitstransformationen von Organisationen und der Gesellschaft [Elliot 2011; Seidel et al. 2013] spielen, insbesondere durch die Gestaltung nachhaltiger Geschäftsprozesse [Ghose et al. 2010; vom Brocke et al. 2012].
Zentrale Anwendungsfelder von Green IS sind die Reduzierung von Logistik-Kosten, die Ermöglichung virtueller Zusammenarbeit, die Unterstützung von Remote-Work, das Monitoring und die Analyse umweltbezogener Daten im Kontext von Arbeitsprozessen, oder auch die Bereitstellung umweltbezogener Daten für Verbraucher und Entscheidungsträger [Watson et al. 2008]. Unter dem Begriff der Energieinformatik (Energy Informatics) wird ein Green-IS-Forschungsfeld bezeichnet, das sich mit der Gestaltung energieeffizienter Systeme befasst [Watson et al. 2011]. Watson et al. (2010) führen folgende einprägsame Formel ein: Energie + Information < Energie. Sensornetzwerke schaffen beispielsweise durch die Sammlung und Auswertung von Nutzungs- und Umweltinformationen einen Abgleich von Energie-Angebot und -Nachfrage. Anwendungen finden sich heute schon in vielen Bereichen, wie zum Beispiel „Smart Houses”, die den Energieeinsatz dem Verhaltensmuster der Nutzer anpassen (z. B. im Hinblick auf die Tageszeit oder den Aufenthaltsort).
In den vergangenen Jahren wurden verschiedene Modelle entwickelt, um die Einsatzgebiete von Green IS sowie die damit verbundenen Forschungsprobleme zu systematisieren, von denen an dieser Stelle nur einige genannt werden können. Melville (2010) beschreibt im Rahmen des Belief-Action-Outcome-Frameworks (B-A-O-Frameworks), wie soziale und organisationale Strukturen (Makrolevel) individuelle Einstellungen beeinflussen (Mikrolevel), welchen Einfluss sie auf individuelles Handeln haben (Mikrolevel) und wie sie sich somit wiederum auf das soziale und organisationale System auswirken (Makrolevel). Green IS können beispielsweise eingesetzt werden, um individuelle Einstellungen zu verändern oder auch nachhaltiges Handeln direkt zu ermöglichen. Seidel et al. (2013) identifizieren zwei wesentliche Funktionen von Green IS im Rahmen organisationaler Nachhaltigkeitstransformationen: „Sensemaking“ und „Sustainable Practicing“. Während Sensemaking die Nutzung von IS zur Unterstützung organisational-kognitiver Aktivitäten zur Interpretation und dem Verständnis der komplexen Zusammenhänge im Kontext nachhaltiger Entwicklung beschreibt, wird unter Sustainable Practicing die Nutzung von Green IS zur Umsetzung konkreter nachhaltiger Handlungen bzw. Arbeitsabläufe verstanden. Sensemaking wird dabei als wichtiger Einflussfaktor auf die erfolgreiche Implementierung nachhaltiger Prozesse identifiziert. Beiden Modellen liegt zugrunde, dass zum erfolgreichen Einsatz von Green IS auch individuelle Faktoren wie Einstellung, Verständnis und Bewusstsein eine wichtige Rolle spielen. Ein Beispiel für Green IS, die Einfluss auf individuelle Einstellungen nehmen können, sind Software-Cockpits, die umweltbezogene Indikatoren (z.B. CO2-Emissionen oder Papierverbrauch) darstellen. Ein Beispiel für Green IS, die nachhaltiges Handeln direkt unterstützen, sind Videokonferenz- und File-Sharing Systeme, die die Virtualisierung von Arbeit und somit die ortsunabhängige Zusammenarbeit ermöglichen.
Gegenwärtige Forschungsgebiete in Bezug auf Green IS beschäftigen sich insbesondere mit der Frage, wie Green IS zu gestalten sind und inwiefern sich ihre Gestaltung von der Gestaltung „herkömmlicher“ IS unterscheidet [Melville 2010, Seidel et al. 2013; Zhang et al. 2011]. Komplementäre Arbeiten in der Wissenschaft erforschen, wann und wie Organisationen bereit sind, Green IS Initiativen erfolgreich durchzuführen [Molla et al. 2011]. Forschungsgegenstand und zentrale Themenfelder von Green IS wurden darüber hinaus in der jüngeren Vergangenheit in mehreren Diskussionen thematisiert [vgl. z.B. Loos et al. 2011; Pernici et al. 2012]. Einerseits wird die Wirtschaftsinformatik in der Pflicht gesehen, einen Beitrag zur Entwicklung und zum Einsatz von IS im Rahmen nachhaltiger Entwicklung zu leisten – nicht zuletzt, weil Informationssysteme als einer der wesentlichen Produktivitätstreiber der vergangenen Jahrzehnte gelten [Watson et al. 2010] und folglich als Mitverursacher der gegenwertigen Situation gesehen werden. Andererseits wird die Chance betont, durch IT-gestützte Lösungen einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten, der die Bedeutung der Wirtschaftsinformatik als Forschungsdisziplin mit hohem Anwendungsbezug langfristig stärken kann. Zugleich wird hervorgehoben, dass sich die Wirtschaftsinformatik diese Position noch erarbeiten muss. Unter anderem wurden die folgenden fünf konkreten Empfehlungen für das weitere Engagement der Wirtschaftsinformatik in diesem Themenfeld gegeben [vom Brocke et al. 2013]:
Die Wirtschaftsinformatik sollte
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sich verstärkt gesellschaftlich relevanten Problemen widmen,
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Beiträge durch innovative IS-basierte Lösungen leisten,
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den gesellschaftlichen Wert dieser Beiträge stärker würdigen und kommunizieren,
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sich in interdisziplinären Arbeiten verstärkt engagieren und
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selbst als gutes Beispiel voran gehen und sich zu einem Vorbild für nachhaltiges Handeln in Forschung und Lehre entwickeln.
Literatur
Elliot, S.: Transdisciplinary Perspectives on Environmental Sustainability: A Resource Base and Framework for It-Enabled Business Transformation. In MIS Quarterly: 2011, 35(1), S. 197-236.
Jenkin, T.A.; Webster, J.; McShane, L.: An Agenda for ‘Green’ Information Technology and Systems Research. In Information and Organization: 2011, 21(1), S. 17–40.
Loos, P.; Nebel, W.; Gómez, J.M.; Hasan, H.; Watson, R.T.; vom Brocke, J.; Seidel, S.; Recker, J.: Green IT: A Matter of Business and Information Systems Engineering?. In: Business and Information Systems Engineering: 2011, (3)4, pp. 245-252.
Melville, N.P.: Information Systems Innovation for Environmental Sustainability. In MIS Quarterly: 2010, 34(1), S. 1-21.
Molla, A.; Cooper, V.; Pittayachawan, S.: The Green IT Readiness (G-Readiness) of Organizations: An Exploratory Analysis of a Construct and Instrument. In Communications of the Association for Information Systems: 2011, 29(4), S. 67-96.
Pernici, B.; Aiello, M.; vom Brocke, J.; Donnellan, B.; Gelenbe, E.; Kretsis, M.: What IS Can Do for Environmental Sustainability: A Report from CAiSE’11 Panel on Green and Sustainable IS. In Communications of the Association for Information Systems: 2012, 30, Artikel 18.
Piccoli, G. 2008. Information Systems for Managers: Texts & Cases. Hoboken, New Jersey: John Wiley & Sons.
Seidel, S.; Recker, J.; vom Brocke, J.: Sensemaking and Sustainable Practicing: Functional Affordances of Information Systems in Green Transformations. In MIS Quarterly: 2013, 36(4).
vom Brocke, J.; Watson, R.T.; Dwyer, C.; Elliot, S.; Melville, N.: Green Information Systems: Directives for the IS Discipline. In Communications of the AIS: 2013, forthcoming.
vom Brocke, J.; Seidel, S.; Recker, J. (Eds.): Green Business Process Management: Towards the Sustainable Enterprise. Heidelberg: Springer, 2012.
Watson, R. T.; Boudreau, M.-C.; Chen, A. J.; and Huber, M.: Green IS: Building Sustainable Business Practices. In: Watson, R.T. (ed.): Information Systems, Athens, GA: Global Text Project, 2008, S. 247-261.
Watson, R.T.; Boudreau, M.-C.; und Chen, A.J.: Information Systems and Environmentally Sustainable Development: Energy Informatics and New Directions for the Is Community. In MIS Quarterly: 2010, 34(1), S. 23-38.
WCED (1987) Report of the World Commission on Environment and Development: Our Common Future. United Nations, New York.
Zhang, H.; Liu, L.; and Li, T.: Designing IT Systems According to Environmental Settings: A Strategic Analysis Framework. In Journal of Strategic Information Systems: 2011 20(1), S. 80-95.