Im Finanzsektor existieren traditionell zahlreiche unterschiedliche Anwendungssysteme, da die Bereitstellung von Daten und Informationen vor allem mit Bezug zum Zahlungsverkehr entlang der Geschäftsprozesse eine wesentliche Aufgabe der Banken darstellt.
Der Finanzsektor mit seinem Drei-Säulen-Modell aus privaten Kreditbanken, öffentlich-rechtlichen Instituten und Genossenschaftsbanken ist seit einigen Jahren in einem starken Wandel. Dieses liegt vor allem an der Fragmentierung des Sektors, die bei vielen, insbesondere kleineren Banken, zu einem sinken Umsatz einhergehend mit hohem Kostendruck führt. Die Industrialisierung der Bankprozesse im Sinne einer Automatisierung, Standardisierung und Rationalisierung und dahinter stehender IT-Systeme ist daher logische Konsequenz [Becker, Weiß, Winkelmann 2010].
Durch die Virtualität der Bank-Dienstleistungen spielt das effiziente und effektive Zur-Verfügung-stellen von Daten und Informationen eines wesentliche Rolle. Dabei wird die IT als Treiber der Transformation des Bankengeschäfts betrachtet. Traditionell haben Banken in Deutschland vor allem eigene IT-Systeme entwickelt. Erste Systeme aus den 1960er und 1970er Jahren wurden individuell entlang der Produkt-Linien für die Massen-Datenverarbeitung programmiert und sind teilweise auch heute noch im Einsatz. In vielen Unternehmen befinden sich daher hoch-integrierte, intransparente IT-Strukturen aus einer großen Anzahl an verschiedenen (Alt-)Systemen. [Meyer zu Selhausen 2000; Moormann, Schmidt 2007].
Die Einsatz von IT-Systemen in Banken lässt sich historisch nach [Moormann, Fischer 2004] in fünf Phasen unterteilen (vgl. Abbildung 1). In der Frühphase der IT-Durchdringung wurden vor allem einfache Systeme auf Lochkarten-Basis zur Unterstützung einzelner funktionaler Aufgabenbereiche wie Massendatenverarbeitung entwickelt (Phase 1). In der zweiten Phase in den 70er-Jahren wurden individuelle Programme für einzelne Sparten oder Abteilungen eingesetzt, die den Mitarbeitern im Time-Sharing-Verfahren Zugriff auf den Großrechner der Bank gewährten. Die zunehmende Reife der IT erlaubte in den 80er-Jahren eine personalisierte Informationsverarbeitung im Sinne des individuellen Zugriffs auf Daten und Informationen (Phase 3) und schließlich in den 90er-Jahren eine vernetzte Informationsverarbeitung (Phase 4). Die Banken entwickelten ihre eigene Vernetzung mit entsprechenden Client-Server-Strukturen und trieben aktiv den Austausch von elektronischen Daten sowohl untereinander als auch mit Firmen- und später Privatkunden voran. Mit den Möglichkeiten der Internet-Technologie ist seit Ende der 90er-Jahre eine fünfte Phase zu beobachten, die webbasierte Informationsverarbeitung, bei der die dezentralen Client-Server-Lösungen zunehmend durch zentrale Internetlösungen abgelöst werden. Statt der Installation von Programmen auf dem PC werden Webbrowser für den zentralen Zugriff auf Programme eingesetzt.
Abbildung 1: Historischer Einsatz von Anwendungssystemen in der Finanzbranche
Die Bill Gates zugeschriebene, aber bereits von [Neumann 1994] geäußerte Vision: „Banking is essential, Banks are not“ sieht vermehrt den Einstieg von neuen Wettbewerbern in traditionelle Bankaufgaben, da das Sinken der Transaktionskosten durch das Internet die Barrieren für neue Wettbewerber reduziert. Für einzelne Leistungen müssen nicht mehr zwingend Groß-Systeme in kostenintensiven Filialen vorgehalten werden, was beispielsweise zu der Entwicklung vieler Direktbanken führte. Die zunehmende Standardisierung der Prozesse und der Einsatz von zentralisierten IT-Systemen erlaubt es zudem in Analogie zur betrieblichen Industrialisierung der Produktion, neue Arten der Arbeitsteilung beispielsweise zwischen Frontoffice (hochbezahlter Berater) und Backoffice (einfacher Sachbearbeiter für Routinetätigkeiten) oder zwischen Unternehmen zu verankern [Becker et al. 2010]. Dieses ermöglicht Economies of Scale and Scope [Wölfing 2006].
Während sich in Handel und Industrie längst der Einsatz von Standardsoftware gegenüber Individualentwicklungen durchgesetzt hat, ist diese Abwägung im Finanzsektor nicht zu Gunsten von Standardsystemen entschieden. Die Größendifferenzen und die unterschiedlichen Aufgabenschwerpunkte von Banken erschweren die Entwicklung und den Betrieb von Standard-Anwendungssystemen. Es sind daher zahlreiche Back-Office-Systeme (Core Banking Software) entstanden, die sich auf Kernfunktionen wie Kontoführung und Kundenstammdatenmanagement konzentrieren. Zu diesen zählen beispielsweise MBS Banking Suite, SAP BCA bzw. Deposits Management oder auch Module größerer Standardlösungen wie KORDOBA oder PABA/Q. Diese werden ergänzt durch zahlreiche am Markt angebotene Teillösungen oder Individuallösungen.
Das Streben nach Verringerung der Fertigungstiefe hat dazu geführt, dass zahlreiche IT-Leistungen der Banken in eigene IT-Organisationen verlagert, ausgelagert oder an kooperative IT-Dienstleister vergeben wurden. Beispielsweise haben sich Sparkassen- oder Genossenschaftsorganisationen zu kooperativen Lösungen entschieden, bei denen ausgelagerte IT-Gesellschaften wie die GAD oder die Sparkassen Informatik die Anwendungssysteme zur Verfügung stellen.
Literatur
Becker, Jörg; Bergener, Philipp; Räckers,r Michael; Weiß, Burkhard; Winkelmann, Axel: Pattern-Based Semi-Automaticr Analysis of Weaknesses in Semantic Business Process Models in the Bankingr Sector. In: Proceedings of the 18th European Conference on Information Systemsr (ECIS 2010). Pretoria, South Africa, 2010. S. 1-12.
Becker, Jörg; Weiß, Burkhard; Winkelmann, Axel:r Utility vs. Efforts of Business Process Modeling – An Exploratory Survey in ther Financial Sector. In: Proceedings of the Multikonferenzr Wirtschaftsinformatik (MKWI 2010). Göttingen, Germany, 2010. S. 41-54.
Meyer zu Selhausen, Hermann:r Bank-Informationssysteme. Eine Bankbetriebswirtschaftslehre mit IT-Schwerpunkt.r Stuttgart: Schaefer-Poeschel 2000.
Moormann, Jürgen: Die Rolle derr Informatik im Bankgeschäft. In: Moormann, Jürgen; Fischer, Thomas (Hrsg.):r Handbuch Informationstechnologie in Banken. Wiesbaden 2004, S. 1-17.
Moormann, Jürgen; Schmidt, Günter:r IT in der Finanzbranche. Management und Methoden. Berlin, Heidelberg, New York: Springer 2007.
Neumann, Edward: Banking’s Role in Tomorrow’s Paymentr Systems: Insuring a Role for Banks. Bankers’ Roundtable, Washington, D.C. 1994.
Wölfing, Dirk: Six Sigma undr Business Process Management im Kontext industrieller Bankprozesse. In: Achenbach,r Wieland; Lieber, Katrin; Moormann, Jürgen: Six Sigma in der Finanzbranche. 2.r Aufl., Frankfurt am Main: Bankakademie 2006, S. 59-77