Konstruktionstechniken bilden die methodische Grundlage zur Wiederverwendung von Modellinhalten [vom Brocke 2002]. Lange Zeit konzentrierten sich die Arbeiten auf die Konfiguration von Referenzmodellen. Neuere Techniken sind die Spezialisierung, die Aggregation, die Instanziierung und die Analogiekonstruktion, die situativ miteinander zu kombinieren sind. Die Techniken haben sich heute als Grundprinzipien der Konstruktion adaptiver Artefakte etabliert und werden in vielen Anwendungsgebieten der Wirtschaftsinformatik genutzt.
Techniken
Die Wiederverwendung von Referenzmodellen erfordert spezifische Regeln zur Übernahme, Adaption und Ergänzung von Modellinhalten. Die in der Referenzmodellierung heute etablierten Techniken sind in Abbildung 1 zusammenfassend dargestellt worden [vom Brocke 2002].
Abb. 1: Übersicht zu Konstruktionstechniken der Referenzmodellierung
Zu den einzelnen Techniken liegen Metamodelle vor [vom Brocke 2002; Delfmann 2006]. Sie beschreiben, welche Anforderungen jeweils an Modellierungssprachen bestehen, und wie vorzugehen ist, um die entsprechenden Konstruktionen vorzunehmen. Während die Konfiguration dem Prinzip der Reduktion eines Gesamtmodells folgt [Schütte 1998, S. 246 f.; Becker et al. 2002a, S. 26 f.; Rosemann, van der Aalst 2005; van der Aalst et al. 2005], ermöglichen die neueren Techniken eine Kombination und Adaption von Teilmodellen [vom Brocke 2002; vom Brocke 2006], wie sie insbesondere auch aus dem Software-Engineering bekannt sind [Coad 1992, S. 125ff; Heß 1993, S. 81f.; Loos 1996, S. 166f.]. Insgesamt bieten die Techniken heute einen weitgehend gefestigten Werkzeugkasten für die Referenzmodellierung [Becker et al. 2004b; Becker et al. 2004c, S. 334; Becker, Knackstedt 2004; Fettke, Loos 2004; Fettke, Loos 2005, S. 21 f.; Delfmann 2006]. Die Fragen ist daher: Welche Technik ist auszuwählen?
Auswahlentscheidung
Die Techniken unterscheiden sich im Wesentlichen darin, in welchem Umfang die Inhalte des letztlichen Modells bereits in der Konstruktion des Referenzmodells oder erst in dessen Anwendung im unternehmensindividuellen Kontext gestaltet werden. Je mehr Inhalte bereits im Referenzmodell beschrieben sind, desto größer ist der potenzielle Anwendungsnutzen im Hinblick auf Zeit, Kosten und Qualität. Entsprechend größer ist dann aber auch der Konstruktionsaufwand des Referenzmodells, da sämtliche möglichen Anforderungen der Anwendungsdomäne bereits zur Konstruktionszeit zu berücksichtigen sind. Die Verteilung der Techniken im Hinblick auf diese Kostenüberlegungen zeigt Abbildung 2.
Abb.2: Konstruktionstechniken im Kostenvergleich
Ein wesentlicher Treiber für die Wahl der richtigen Konstruktionstechnik ist die Komplexität der Anwendungsdomäne. Je weniger komplex, also je planbarer, die Anwendungsdomäne ist, desto nahe liegender ist es, Modellinhalte bereits zur Konstruktionszeit im Modell vorzusehen. Das Extrem bildet hier die Konfiguration. Je komplexer die Situation jedoch ist, desto vorteilhafter wird es, einen größeren Anteil der Konstruktionsleistung in den Bereich der Modelladaption zu verlagern. Das Extrem ist hier die Analogiekonstruktion.
Kombinationsformen
In Entscheidungen über die Auswahl von Konstruktionstechniken sind also situative Faktoren der jeweiligen Konstruktionsprozesse zu berücksichtigen. Typische Komplexitätstreiber sind die Planbarkeit der Anwendungen, der Standardisierungsgrad des zu gestaltenden Systems, die herrschende Umfelddynamik, die geforderte Modellqualität, das zeitliche und finanzielle Budget sowie die Präferenzstruktur avisierter Modellnutzer [vom Brocke 2006]. Da die Ausprägungen dieser Faktoren bereits in einzelnen Konstruktionsvorhaben für Teilbereiche stark variieren können, ist bei der Konstruktion von und mit Referenzmodellen ein situativer Mix adäquater Konstruktionstechniken anzustreben. Folgende Kombinationen sind grundsätzlich zu unterscheiden [vom Brocke 2006]:
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Modellspezifische Kombination: Für eine Domäne werden mehrere Referenzmodelle entwickelt, die nach unterschiedlichen Techniken wiederzuverwenden sind.
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Aspektspezifische Kombination: Auch in einem einzelnen Modell kann die Kombination unterschiedlicher Techniken erfolgen.
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Zeitspezifische Kombination: Ebenso können in unterschiedlichen Phasen des Konstruktionsprozesses von Anwendungs- und Referenzmodellen zeitlich nacheinander unterschiedliche Techniken genutzt werden.
Die Herauforderung bei der Referenzmodellierung besteht also darin, einen situativen Mix an Konstruktionstechniken herzustellen. Einen entscheidenden Einfluss hat hier auch die Weiterentwicklung von Modellierungstools, die Konstruktionstechniken der Referenzmodellierung noch immer unzureichend unterstützen. Hier bestehen Forschungspotenziale.
Anwendungsgebiete
Die Konstruktionstechniken zur Referenzmodellierung finden heute in zahlreichen Gebieten Anwendung, wie z. B. im Method Enineering (Becker et al. 2007), im Management von Prozessvarianten (Hallerbach et al. 2010), im eGovernment (Karow et al. 2008), im IT Service Management (Brocke, Übernickel, Brenner 2010), im Engeriemanagement (Schlieter, Juhrisch, Niggemann 2010), in Standardisierungsinitiativen (Hofreiter et al. 2012), im Change Management (vom Brocke, Thomas 2006), in der Maschinensimulation (Esswein, Lehrmann, Stark (2010), im Hochschulmanagement (vom Brocke, Buddendick, Simons (2008), im eHealth (Baacke, Mettler, Rohner 2009), im eLearning (Grob, vom Brocke 2004), in der Smart Grids Gestaltung (Rohjans et al. 2011) sowie in der Gestaltungsorientierten Forschung allgemein (vom Brocke, Buddendick 2006).
Die Konstruktionstechniken können heute als Grundprinzipien für die Konstruktion von Adaptivität gelten, die aufgrund der hohen Änderungsdynamik von Anforderungen in vielen Gebieten gebraucht werden.
Literatur
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