Bibtex

@InCollection{,
  Year    = "2019", 
  Title    = "Referenzmodell", 
  Author    = "Fettke, Prof. Dr. Petervom Brocke, Prof. Dr. Jan", 
  Booktitle    = "Gronau, Norbert ; Becker, Jörg ; Kliewer, Natalia ; Leimeister, Jan Marco ; Overhage, Sven (Herausgeber): Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik – Online-Lexikon",
  Publisher    = "Berlin : GITO",
  Url    = "https://wi-lex.de/index.php/lexikon/entwicklung-und-management-von-informationssystemen/systementwicklung/softwarearchitektur/wiederverwendung-von-softwarebausteinen/referenzmodell/", 
  Note    = "[Online; Stand 21. November 2024]",
}

Referenzmodell

Peter FettkeJan vom Brocke


Das zentrale Charakteristikum eines Referenzmodells ist seine intendierte bzw. faktische Wiederverwendung. Damit ist ein Referenzmodell ein Modell, das zur Wiederverwendung empfohlen oder faktisch zur Konstruktion weiterer Modelle wiederverwendet wird.

Definition

Bisher hat sich innerhalb der Forschung zur Referenzmodellierung keine allgemein anerkannte Definition des Terminus Referenzmodell herausgebildet. Allerdings lässt sich in jüngster Zeit eine Konvergenz verschiedener terminologischer Bestimmungen in Richtung eines wiederverwendungsorientierten Referenzmodellbegriffs feststellen. Zur weiteren Systematisierung und unterschiedlichen Begriffsauffassungen siehe [Fettke, Loos 2004; Fettke 2006; Fettke, Loos 2007; vom Brocke 2003].

Gemäß der wiederverwendungsorientierten Begriffsauffassung ist ein Referenzmodell ein Modell, das mindestens einer der beiden folgenden Eigenschaften genügt [vom Brocke 2003; Alpar et al. 2002; Becker, Knackstedt 2004; Becker, Delfmann, Knackstedt 2004]:

  • Das Modell wurde mit der Intention entwickelt, bei der Konstruktion weiterer Modelle wiederverwendet zu werden.
  • Das Modell wird faktisch zur Konstruktion weiterer Modelle wiederverwendet.

Die intendierte bzw. faktische Wiederverwendung eines Modells stellt damit das zentrale Definitionsmerkmal eines Referenzmodells dar. Die wiederverwendungsorientierte Begriffsauffassung hat zur Konsequenz, dass der uneingeschränkte Anspruch der Wissenschaftlichkeit an Referenzmodelle fallen gelassen werden muss.

Auch muss gemäß diesem Verständnis ein Referenzmodell nicht zwingend ein Best Practice- oder Common Practice-Modell darstellen. Gleichwohl wird dieser Anspruch häufig von Autoren implizit an ein Referenzmodell gestellt. Der Referenzmodellbegriff wird dabei ähnlich wie der Modellbegriff sowohl mit deskriptiver als präskriptiver Absicht verwendet:

  • In deskriptiver Sicht beschreibt ein Referenzmodell die Gemeinsamkeiten einer Klasse von Modellen.
  • In präskriptiver Sicht liefert ein Referenzmodell einen Vorschlag, wie eine Klasse von Modellen ausgestaltet sein kann.

In einem Referenzmodell sind in der Regel deskriptive und präskriptive Aspekte verschränkt vorhanden, wobei im Einzelfall die eine oder andere Sichtweise erheblich überwiegen kann. Dabei gilt zu beachten, dass ein aus einem Referenzmodell abgeleitetes Modell auf derselben Sprachstufe angesiedelt ist, also keine Instanziierungsbeziehung wie bei der Anwendung eines Meta-Modells vorliegt.

Deduktive und induktive Entwicklungsstrategie

Bei der Erstellung eines Referenzmodells kann zwischen einer deduktiven und einer induktiven Strategie unterschieden werden [Fettke 2014]:

  • Deduktive Strategie (“Top-Down-Entwicklung”): Allgemeine Prinzipien und Theorien bilden den Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Referenzmodells. Das Referenzmodell wird im Entwicklungsprozess zunehmend konkretisiert.

  • Induktive Strategie (“Bottom-Up-Entwicklung”): Ausgehend von individuellen Unternehmensmodellen wird ein Referenzmodell entwickelt, indem Gemeinsamkeiten der individuellen Modelle identifiziert werden und von den Besonderheiten abstrahiert wird. Eine zunehmende Abstraktion von den Spezifika der individuellen Unternehmensmodelle ist Merkmal des Entwicklungsprozesses.

In jüngster Zeit sind insbesondere Konzepte, Methoden und Werkzeuge zur induktiven Referenzmodellierung entwickelt und erforscht worden [Rehse et al. 2016]. Ein Beispiel ist der am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) entwickelte RefMod-Miner, der vielfältige Funktionen zur Referenzmodellentwicklung zur Verfügung stellt. Aktuelle Tendenzen weisen darauf hin, dass die induktive Entwicklungsstrategie Gemeinsamkeiten zum Forschungsfeld des Process Mining aufweist und auch im Kontext der deduktiven Entwicklungsstrategie vielfältige Vorteile bietet.

Typen von Referenzmodellen

Tabelle 1 gibt einen Überblick über verschiedene Typen von Referenzmodellen. Bei Analyse- und Entwurfsmustern handelt es sich zumeist um Modelle von sehr geringem Umfang. Entwurfsmuster sind zudem auf den Entwurf von Software ausgerichtet. Frameworks bestehen im Wesentlichen aus Programmcode, der nach geeigneten Modifikationen und Anpassungen leicht wiederverwendet werden kann. Für die Wirtschaftsinformatik besonders von Bedeutung sind betriebswirtschaftliche Referenzmodelle. Ein umfassender Katalog mit bekannten Referenzmodellen wird am Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität Saarbrücken gepflegt.

Referenzmodelltyp

Typische Beispiele

Technisches Referenzmodell

[Workflow Management Coalition 1995; ISO 1994]

Betriebswirtschaftliches Referenzmodell

Y-CIM-Modell [Scheer 1997], MIT Process Handbook [Malone, Crowston, Herman 2003], SCOR-Modell [Supply-Chain Council Inc. 2011]

Software-Referenzmodell

Referenzmodell der SAP [Keller, Lietschulte, Curran 1999]

Referenzvorgehensmodell

[Vering 2002]

Theoretisch-konzeptioneller Bezugsrahmen

[Dobrindt 2005]

Analyse- und Entwurfsmuster

[Fowler 1997; Gamma et al. 1995]

Frameworks

[Pree 1997]

Tab. 1: Übersicht über Typen von Referenzmodellen

Ökonomische Wirkungen der Anwendung von Referenzmodellen

Mit der Anwendung von Referenzmodellen werden im Allgemeinen höhere Effektivitäts- und Effizienzvorteile unterstellt. Im Einzelnen werden in der Literatur unterschiedliche Wirkungen diskutiert. Exemplarisch seien genannt [Becker, Knackstedt 2003]:

  1. Kosten: Einerseits verursacht die Anschaffung eines Referenzmodells Kosten. Andererseits können Aufwände für die Modellerstellung aufgrund der Vorlagen eingespart werden.
  2. Zeit: Einerseits erfordert die Auswahl eines Referenzmodells Zeit. Andererseits wird die Modellerstellung aufgrund der Wiederverwendung beschleunigt.
  3. Qualität: Die Nutzung hochwertiger Referenzmodelle verbessert die Modellqualität.
  4. Risiko: Einerseits erhöht die Nutzung eines Referenzmodells das Modellierungsrisiko, da beispielsweise unklar ist, inwieweit das Referenzmodell zukünftig weiterentwickelt wird. Andererseits senkt die Nutzung eines etablierten Referenzmodells das Risiko, dass ein Projekt scheitert.
  5. Wettbewerbsposition: Einerseits wird aufgrund des Einsatzes des Referenzmodells und der damit einhergehenden Kosten-, Zeit-, Qualitäts- und Risikovorteile die Wettbewerbsposition eines Unternehmens gestärkt. Andererseits verschlechtert sich die Wettbewerbsposition, da das im Referenzmodell formulierte Know-how häufig allgemein, also auch für Wettbewerber, zugänglich ist.

Erste umfassende empirische Untersuchungen zur ökonomischen Wirkung der Referenzmodellierung bestätigen am Beispiel des SCOR-Modells die positiven Effekte, die von der Anwendung eines Referenzmodells ausgehen [Fettke 2008].

Offene Probleme

Während in früheren Arbeiten zur Referenzmodellierung die Allgemeingültigkeit als ein definitorisches Merkmal eines Referenzmodells herausgestellt wurde [Hars 1994; Schütte 1998], wird in jüngster Zeit von dieser Forderung oft Abstand genommen. Vor diesem Hintergrund bestehen mehrere Problembereiche:

  1. Bisher ist es nicht gelungen, eine allgemein akzeptierte Explikation der Eigenschaft der Allgemeingültigkeit vorzulegen. In der Arbeit von Fettke wird zwar im Rahmen der strukturalistischen Referenzmodellierung eine Explikation der Allgemeingültigkeit vorgeschlagen [Fettke 2006]. Allerdings wird diese Position bisher nicht allgemein rezipiert.
  2. Unabhängig von der terminologischen Frage, wie die Eigenschaft der Allgemeingültigkeit inhaltlich zu entfalten ist, stellt sich die empirische Frage, ob mit der Allgemeingültigkeit eines Referenzmodells tatsächlich eine bessere Wiederverwendbarkeit eines Referenzmodells gegeben ist. Zwar wird mit der Steigerung der Allgemeingültigkeit eines Referenzmodells offensichtlich sein intendierter Anwendungsbereich erhöht. Fraglich bleibt allerdings, ob aus der höheren Anwendbarkeit auch eine bessere faktische Wiederverwendung resultiert. Ferner ist unklar, welche ökonomischen Konsequenzen hiermit sowohl für den Modellentwickler als auch Modellanwender verbunden sind.
  3. Wenn Referenzmodellen nicht mehr die Eigenschaft der Allgemeingültigkeit zugesprochen wird, dann können Referenzmodelle nicht mehr uneingeschränkt als Theorien der Wirtschaftsinformatik bezeichnet werden [Fettke 2006]. Folglich stellt sich die Frage, wie Referenzmodelle, die nicht selten wesentliche Produkte wirtschaftsinformatischer Forschungsbemühungen darstellen, inhaltlich zu rechtfertigen sind. Es werden also alternative Kriterien benötigt, um wissenschaftliche von außer-wissenschaftlichen Referenzmodellen differenzieren und damit wissenschaftliche Leistungen legitimieren zu können.

Literatur

Rehse, Jana ; Fettke, Peter ; Loos, Peter: An Execution-Semantic Approach to Inductive Reference Models Development. In: 24th European Conference for Information Systems (ECIS). EuropeanConference on Information Systems (ECIS-16), Istanbul,Turkey, 2016.

Workflow Management Coalition: The Workflow Reference Model. Hampshire, UK 1995.

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