Markus Weinmann, Christoph Schneider, Jan vom Brocke
“Digital nudging is the use of user-interface design elements to guide people’s behavior in digital choice environments.” [Weinmann, Schneider, und vom Brocke 2016]
Unter dem Begriff “Digital Nudging” werden Erkenntnisse des „Nudging“ auf Handlungskontexte in digitalen Umgebungen übertragen. “Nudging” (deutsch: anstupsen) ist die aktive Gestaltung einer Entscheidungssituation mit dem Ziel, das Verhalten von Menschen systematisch und vorhersagbar zu beeinflussen [Thaler und Sunstein 2008]. Es stellt somit ein Konzept zur Entscheidungspräsentation dar. Insbesondere werden Erkenntnisse aus der Psychologie sowie der Verhaltensökonomie genutzt, um die Rahmenbedingungen für Entscheidungen zu gestalten (in der sog. “Choice Architecture”, Thaler et al. 2010), sodass die getroffene Entscheidung zum Besten des Entscheiders bzw. des Allgemeinwohls ist. Dabei soll die Entscheidungsfreiheit des Menschen gewahrt bleiben, indem keine Entscheidungsoption verboten, jedoch unterbewusst die präferierte Option vorbereitet wird; ein Konzept das auch “libertärer Paternalismus” genannt wird [Thaler und Sunstein 2003].
Ein prominentes Beispiel stellt die Entscheidung zur Organspende dar [z.B. Johnson und Goldstein 2003]. Hierbei handelt es sich um eine binäre Entscheidungssituation (Organspende “ja” oder “nein”), wobei die präferierte Entscheidungsoption für das Allgemeinwohl “ja” ist. Bei der Entscheidungspräsentation kann beispielsweise der Default Bias (auch Status Quo Bias) zu Hilfe genommen werden, der besagt, dass Menschen überproportional häufig die als Standard vorgegebene Option akzeptieren. Länder, in denen eine Person aktiv zu Lebzeiten widersprechen muss (Widerspruchslösung; der Default ist standardmäßig auf „ja“ gesetzt), haben eine signifikant höhere Spenderate. So liegt die Rate in Österreich bei 99,98%, in Deutschland hingegen, wo man aktiv einwilligen muss (Zustimmungslösung), nur bei 12%.
Eine Übersicht typischer „Nudges“ ist in Tabelle 1 dargestellt worden. Die Forschung zu „digital Nudges“ untersucht die Übertragung von Nudges auf den digitalen Entscheidungs- und Handlungskontext, um die Gestaltung von Mensch-Maschine-Schnittstellen z.B. in Online Shops oder auf SmartPhone Apps zu verbessern [Weinmann et al. 2016]. Beispielsweise setzt die mobile Bezahl-App Square den Default auf „Trinkgeld geben“, sodass Kunden, die kein Trinkgeld geben wollen, diese Option aktiv abwählen müssen [Carr 2013].
Nudge Prinzip | Erklärung und Beispiel für Digitalen Nudge |
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Incentive (Anreiz) | Saliente Anreize wirken effektiver. Zum Beispiel die digitale Darstellung von aktuellen Verbrauchsdaten während einer Autofahrt |
Understanding Mapping (Abbilden von Informationen) | Das Abbilden von komplexen Informationen mit Hilfe leichter verständlicher Evaluationsschemata. Zum Beispiel die Darstellung einer maximal möglichen druckbaren Fotogröße statt der von Megapixels. |
Defaults (Standards) | Das Vorauswählen bestimmter Optionen. Durch das Setzen eines Defaults auf „Trinkgeld geben“ kann in mobilen Bezahlapps das Trinkgeld erhöht werden. |
Giving Feedback (Rückmeldungen) | Feedback bzgl. des aktuellen Verhalten kann dieses beeinflussen. Zum Beispiel elektronische Verkehrsschilder, die abhängig von der Geschwindigkeit einen lachenden oder weinenden Similie darstellen. |
Expecting Error (erwartete Fehler) | Zu erwartende Fehler können durch Nudges vorbeugend korrigiert werden. Beispielsweise sind Bankautomaten dahingehend gestaltet, dass Nutzer erst dann Geld bekommen, wenn sie ihre Karte abgezogen haben. |
Structure complex choice (Entscheidungsstruktur) | Die Darstellung von Attributen und Alternativen, zum Beispiel in einem Online-Automobilkonfigurator, kann das Entscheidungsverhalten beeinflussen. |
Tab. 1: Erklärungen und Beispiele für Digitale Nudges
Schneider et al. [2018] beschreiben vier Schritte für erfolgreiches, digitales Nudging:
1) Define Goal: was ist das Ziel und welche Entscheidung soll beeinflusst werden? (um im o.g. App-Trinkgeld Beispiel zu bleiben: das Ziel wäre, mehr Einnahmen bei der Trinkgeld-Entscheidung zu generieren)
2) Understand User: wie sieht der Entscheidungsprozess aus? Welche kognitiven Biases beeinflussen die Entscheidung? (Status Quo Bias: Konsumenten akzeptieren voreingestellte Optionen)
3) Design Nudge: welcher Nudging-Mechanismus hilft, um die Entscheidung zu beeinflussen? (das Setzen von Defaults bzw. Voreinstellungen)
4) Test Nudge: entfaltet der Nudge seine Wirkung? (Untersuchung durch experimentelle Forschung).
(Digitales) Nudging wird weltweit von Organisationen und Regierungen eingesetzt, um das Entscheidungsverhalten von Kunden und Bürgern nachhaltig zu beeinflussen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Digitalisierung ist weitergehende Forschung zu Einsatzszenarien und Auswirkungen von “Digital Nudging” notwendig.
Literatur
Carr, Austin: How Square Register’s UI Guilts You into Leaving Tips (2013). http://www.fastcodesign.com/3022182/innovation-by-design/how-square-registers-ui-guilts-you-into-leaving-tips (Abruf 11.12.2017)
Johnson, Eric J.; Goldstein, Daniel: Do Defaults Save Lives?. In: Science 302 (2003), Nr. 5649, S. 1338–1339
Schneider, Christoph; Weinmann, Markus; vom Brocke, Jan: Digital Nudging–Influencing Choices by Using Interface Design. In: Communications of the ACM (2018), forthcoming
Thaler, Richard H.; Sunstein, Cass R.: Libertarian Paternalism. In The American Economic Review 93 (2003), S. 175–79
Thaler, Richard H.; Sunstein, Cass R.: Nudge: Improving Decisions About Health, Wealth, and Happiness. New Haven & London : Yale University Press, 2008.
Thaler, Richard H.; Sunstein, Cass R.; Balz, John P.: Choice Architecture. SSRN Electronic Journal (2010).
Weinmann, Markus; Schneider, Christoph; vom Brocke, Jan: Digital Nudging. Business & Information Systems Engineering 58 (2016), Nr. 6, S. 433–436