IT-gestütztes Peer Learning ermöglicht es, Peer Learning auch in größeren Veranstaltungen ressourcenschonend einzusetzen.
Zu Grunde liegendes Problem
Fast überall auf der Welt sind steigende Studierendenzahlen zu beobachten. Gleichzeitig wachsen jedoch die verfügbaren Ressourcen der Universitäten nicht proportional zu diesem Anstieg. Die Folge sind steigende Studierendenzahlen in Vorlesungen und gerade in den ersten Semestern sind Massenveranstaltungen mit mehreren Hundert Studierenden eher Normalität denn Seltenheit [Fortes und Tchantchane 2010; Van de Grift et al. 2002]. Diese Rahmenbedingungen führen oft zu wenig Interaktion sowohl zwischen Dozierenden und Studierenden als auch zwischen den Studierenden. Dadurch nehmen die Studierenden oft eine passive Rolle ein anstatt aktiv am Lernprozess mitzuwirken [Ebert-May et al. 1997]. Das ist insbesondere problematisch, weil Interaktion und aktive Teilnahme am Lernprozess wichtige Einflussfaktoren auf den Lernerfolg von Studierenden sind [Lehmann et al. 2015]. Eine weitere Konsequenz dieses Lehr-Lern-Arrangements ist es, dass durch die fehlende Interaktion und die Passivität der Studierenden die Wissensvermittlung fast ausschließlich in Form von Faktenwissen stattfindet und damit auf die niedrigen Lernzielebenen [Bloom und Krathwohl 1956; Anderson et al. 2001] limitiert ist. Dies ist insbesondere in einer Zeit, in der der Wert von Faktenwissen durch die zunehmende Allgegenwärtigkeit von Informationen eher abnimmt und die Bedeutung von Softskills und der Fähigkeit das Wissen zur Problemlösung anzuwenden eher steigt, mindestens auf lange Sicht problematisch [Chiru et al. 2012].
Lösungsansatz
Eine Möglichkeit die Studierenden aus der Passivität zu holen, die Interaktion zwischen den Studierenden zu erhöhen und höhere Lernzielebenen zu adressieren ist Peer Learning, insb. das sogenannte Peer Assessment. Dabei bearbeiten die Studierenden zuerst individuell eine Aufgabe (bspw. Freitext- oder Modellierungsaufgabe) und im Anschluss wird die initiale Lösung von einem oder mehreren Kommilitonen bewertet. Je nach Ausgestaltung folgt dann bspw. auf Basis des Feedbacks eine weitere Überarbeitungsrunde [Boud und Falchikov 2007; Falchikov und Goldfinch 2000]. Durch diesen Prozess müssen die Studierenden zuerst individuell eine Aufgabe lösen (idealerweise auf mittlerer bis hoher Lernzielebene) und anschließend eine oder mehrere Lösungen anderer Studierenden bewerten (am besten qualitativ und konstruktiv, also nicht nur auf einer Notenskala). Auf Basis der Eindrücke der Lösung(en) der Kommilitonen und den Verbesserungsvorschlägen zur einen Lösung erstellen die Studierenden einen finalen individuellen Lösungsvorschlag. Dieser Prozess führt dazu, dass die Studierenden zwangsweise das zuvor gelernte Wissens anwenden und mehrfach reflektieren müssen. Gleichzeitig müssen sie konstruktive Kritik formulieren, die ihren Kommilitonen hilft. Dadurch werden neben den inhaltlichen Fähigkeiten auch Softskills wie kritisches Denken und die Fähigkeit Feedback zu geben – was insbesondere bei der Ausbildung von Führungskräften relevant ist – geschult.
Dieser Ansatz ist jetzt nicht grundlegend neu, der zusätzlich notwendige Koordinationsaufwand seitens der Dozierenden korreliert allerdings mit der Studierendenzahl, weshalb dieser Ansatz zumeist auf Kurse mit niedrigen Teilnehmerzahlen beschränkt ist. Hier kann intelligenter IT-Einsatz helfen und den Koordinationsaufwand seitens der Dozierenden zu einem grossen Teil (teil-)automatisieren und dadurch skalierbar machen [Lehmann et al. 2016]. Im Folgenden wird beispielhaft aufgezeigt, wie Peer Assessment im LMS Moodle effektiv umgesetzt werden kann.
Beispiel für Implementierung von IT-gestütztem Peer Assessment in Moodle
IT-gestütztes Peer Assessment (ITPA) kann im LMS Moodle mit Hilfe des Workshop-Moduls umgesetzt werden. Dabei werden die folgenden Schritte durchlaufen:
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Initiale Erstellung einer Lösung zu einer Freitextaufgabe bis zu einer vorgegebenen Deadline
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Automatische anonyme Verteilung der Aufgabe an andere Studierenden (Empfehlung 3). Hier hilft es, wenn die Review Guidelines und Kriterien zur konstruktiven Bewertung an die Hand gegeben werden.
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Automatisches Versenden der Reviews an die initialen Bearbeiter und Erstellen der finalen Lösung (bspw. inkl. einer Change History).
Empirische Erkenntnisse zum Wert von ITPA
Im Rahmen von Studien konnte der Wert von ITPA empirisch bestätigt werden. So konnte unter anderem gezeigt werden, dass die Klausurleistung in Aufgaben mit Bezug zum ITPA verbessert wurde. Ebenso wurde ein positiver Effekt von ITPA, auf die Fähigkeit der Studierenden ihren Kommilitonen konstruktives Feedback zu geben, beobachtet. Für weitere Details sei auf die Arbeiten von Lehmann et al. [2016] und Rietsche et al. [2017] verwiesen.
Literatur
Anderson, L., Krathwohl, D., Airasian, P. W., Cruikshank, K. A., Mayer, R. E., Pintrich, P., and Wittrock,J. 2001. A Taxonomy for Learning, Teaching, and Assessing: A Revision of Blooms Taxonomy ofEducational Objectives Addison Wesley Longmann, New York.”, Bloom, B. S., and Krathwohl, D. R. 1956. Taxonomy of educational objectives. The classification ofeducational goals, by a committee of college and university examiners. Handbook I, Cognitivedomain Green Longmans New York.
Boud, D., and Falchikov, N. 2007. Rethinking assessment in higher education: Learning for the longerterm Routledge, Abingdon, Oxon.
Chiru, C., Ciuchete, S. G., Lefter, G. G., and Paduretu, E. 2012. “A Cross Country Study on UniversityGraduates Key Competencies. An Employer‘s Perspective,” Procedia – Social and Behavioral Sciences(46:0), pp. 4258-4262.
Ebert-May, D., Brewer, C., and Allred, S. 1997. “Innovation in large lectures: Teaching for active learning,”Bioscience, pp. 601-607.
Falchikov, N., and Goldfinch, J. 2000. Student Peer Assessment in Higher Education: A Meta-AnalysisComparing Peer and Teacher Marks, Review of Educational Research (70:3), pp. 287-322.
Fortes, P. C., and Tchantchane, A. 2010. “Dealing with Large Classes: A Real Challenge,” Procedia – Socialand Behavioral Sciences (8:0), pp. 272-280.
Lehmann, K.; Söllner, M. & Leimeister, J. M. (2015): Der Wert von IT-gestütztem Peer Assessment zur Unterstützung des Lernens in einer Universitären Massenlehrveranstaltung. In: Wirtschaftsinformatik (WI) Konferenz 2015, Osnabrück, Germany.
Lehmann, K.; Söllner, M. & Leimeister, J. M. (2016): Design and Evaluation of an IT-based Peer Assessment to Increase Learner Performance in Large-Scale Lectures. In: International Conference on Information Systems (ICIS), Dublin, Ireland.
Rietsche, R.; Lehmann, K.; Haas, P. & Söllner, M. (2017): The Twofold Value of IT-Based Peer Assessment for Management Information Systems Education. In: Internationale Tagung Wirtschaftsinformatik (WI), St.Gallen, Switzerland.
Van De Grift, T., Wolfman, S. A., Yasuhara, K., and Anderson, R. J. 2002. Promoting interaction in largeclasses with a computer-mediated feedback system, Washington State University, pp. 1-10