Bibtex

@InCollection{,
  Year    = "2019", 
  Title    = "Bimodale IT", 
  Author    = "Urbach, Prof. Dr. Nils", 
  Booktitle    = "Gronau, Norbert ; Becker, Jörg ; Kliewer, Natalia ; Leimeister, Jan Marco ; Overhage, Sven (Herausgeber): Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik – Online-Lexikon",
  Publisher    = "Berlin : GITO",
  Url    = "https://wi-lex.de/index.php/lexikon/entwicklung-und-management-von-informationssystemen/it-projektmanagement/bimodale-it/", 
  Note    = "[Online; Stand 23. November 2024]",
}

Bimodale IT

Nils Urbach


Bimodale IT bezeichnet die Zweiteilung einer IT-Organisation in das Management von sicheren und in ihrem Verhalten vorhersagbaren Kernsystemen auf der einen sowie von experimentellen, agilen und Kunden sowie Partnern zugewandten Applikationen auf der anderen Seite. Die grundlegende Idee einer solchen Organisationsform ist, neben der traditionellen IT-Entwicklungs- und -Betriebsorganisation eine Art Überholspur für digitale Transformationsprojekte mit hoher Priorität und hohem Geschwindigkeitsanspruch zu schaffen.

Hintergrund

Die digitale Transformation führt gegenwärtig in vielen Unternehmen zu neuen Herausforderungen für die interne IT-Organisation. Haben sich viele IT-Organisationen bislang darauf konzentriert, die Anforderungen der Fachbereiche möglichst effektiv und effizient in qualitativ hochwertige IT-Services zu übersetzen und diese zu betreiben, sind sie in zunehmenden Maße gefordert, das Gesamtunternehmen aktiv mitzugestalten [Urbach, Ahlemann, 2016]. Entsprechend besteht neben den klassischen IT-Aufgaben wie die Planung, die Entwicklung und den Betrieb von Informationssystemen zunehmend die Notwendigkeit, proaktiv und frühzeitig mit den Fachbereichen zu kooperieren, um disruptive Innovationen gemeinsam zu konzipieren und zu realisieren [Châlons, Dufft, 2017]. Dabei sind die IT-Organisationen mit neuen Technologien, der Notwendigkeit einer höheren Geschäftsorientierung, der Forderung nach einer schnelleren „Time-to-Market“ sowie der kundenorientierten und iterativen Entwicklung von IT-Lösungen konfrontiert [Bharadwaj et al., 2013; Horlach et al., 2016]. Viele IT-Organisationen sind aufgrund ihrer industrialisierten Ausrichtung der vergangenen Jahre strukturell und prozessual jedoch nicht optimal aufgestellt, um eine wichtige Rolle in der digitalen Transformation einzunehmen. Als mögliche Maßnahme zur Begegnung dieser Herausforderungen und als Antwort auf die Forderung nach höherer Agilität und Geschwindigkeit, werden agile Organisationsformen derzeit sowohl in der Unternehmenspraxis als auch in der akademischen Forschung intensiv diskutiert [Jöhnk et al., 2017]. Gleichzeitig sind die Anforderungen an einen sicheren und stabilen Betrieb von traditionellen IT-Lösungen unverändert, so dass es Ansätze bedarf, die traditionelle und agile Ansätze gleichermaßen vereinen [Horlach et al., 2016].

Begriffsverständnis

Zur Adressierung der Herausforderung, eine sichere und stabile IT auf der einen Seite sowie eine agile, flexible und innovationsgetriebene IT auf der anderen Seite betreiben zu müssen, hat sich vor allem in der praxisorientierten Literatur der Ansatz der „bimodalen IT“ oder auch der „IT der zwei Geschwindigkeiten“ herauskristallisiert. Der Begriff der bimodalen IT wurde vom Analystenhaus Gartner geprägt und bezeichnet die Zweiteilung der IT-Organisation in das Management von sicheren und in ihrem Verhalten vorhersagbaren Kernsystemen (Modus 1) und eher experimentellen, agilen und Kunden sowie Partnern zugewandten Applikationen (Modus 2) [Gartner, 2013]. Die grundlegende Idee dieses organisatorischen Ansatzes ist, neben der traditionellen IT-Entwicklungs- und -Betriebsorganisation als großer Tanker eine Art Schnellboot für digitale Transformationsprojekte mit hoher Priorität und hohem Geschwindigkeitsanspruch zu schaffen. Für den Tanker geht es dann vor allem darum, die Kernsysteme anhand klar definierter Anforderungen und dem Paradigma „Stabilität und Zuverlässigkeit“ folgend weiterzuentwickeln. Das Schnellboot fokussiert sich hingegen auf “disruptive” IT-Lösungen und ist entsprechend durch kunden- beziehungsweise geschäftsgetriebene digitale Transformationsprojekte geprägt. Im Vordergrund stehen hier vor allem „Innovation und Differenzierung“ [Horlach et al., 2016]. Tabelle 1 stellt zentrale Charakteristika beider Ansätze gegenüber.

Traditionelle IT (Modus 1) Agile IT (Modus 2)
Ziel Stabilität und Zuverlässigkeit Innovation und Differenzierung
Fokus Systemzentriert Benutzerzentriert
Planungshorizont Langfristig Kurzfristig
Methoden Plangetrieben Iterativ und agil
 Entwicklungszyklen Lang Kurz
Entwicklung und Betrieb Strikt getrennt Integriert

Tab. 1: Charakteristika einer bimodalen IT

Der Ansatz der bimodalen IT ist nicht unumstritten. Auf der einen Seite steht die Argumentation, dass bimodale IT-Organisationen nicht benötigt werden, da diese als problembehaftet angesehen werden und vielmehr in ihrer Ganzheit transformiert werden sollten [Forrester Research, 2016; White et al., 2016]. Auf der anderen Seite werden multimodale Organisationsformen als weitergehende Ansätze diskutiert, wie etwa die trimodale IT [Cohen, 2016; INFINIT Consulting, 2016].

Umsetzung

Abgesehen von der grundsätzlichen Ausrichtung der beiden Modi einer bimodalen IT sind konkrete Gestaltungsmöglichkeiten sowie Empfehlungen zur Umsetzung noch nicht ausreichend beschrieben. Haffke et al. [2017] und Jöhnk et al. [2017] stellen aus einer wissenschaftlichen Perspektive erste Ansätze zur Gestaltung der Dualität von traditioneller und agiler IT vor. Die Bereitstellung der agilen, flexiblen und innovationsgetriebenen IT kann dabei in den Dimensionen unterschieden werden [Jöhnk et al., 2017]:

  • Scope: Welchen Aufgaben widmet sich die agile IT?

  • Institutionalization: Wie beständig ist die agile IT im Unternehmen verankert?

  • Accountability: Welche Abteilung legitimiert und autorisiert Entscheidungen für die agile IT?

  • Governance, Risk and Compliance: Welches regulatorische Rahmenwerk ist für die agile IT zutreffend?

  • Location: Wo befinden sich die Mitarbeiter der agilen IT räumlich?

  • Staffing: Aus welchen Mitarbeitern setzt sich die agile IT zusammen?

  • Technical Integration: Wie stark sind die Systeme der agilen IT und der traditionellen IT miteinander integriert?

In der Praxis lassen sich dabei für die Umsetzung agiler IT-Einheiten verschiedenste Kombinationen zwischen diesen Dimensionen beobachten. Die daraus entstehenden Archetypen reichen von projektbasierten agilen IT-Einheiten, über separate agile IT-Abteilungen (im selben Unternehmen oder als eigenständiges Unternehmen), bis hin zu einer vollständigen Integration von traditioneller und agiler IT [Haffke et al., 2017; Jöhnk et al., 2017]. Die Auswahl dieser Archetypen sollte dabei anhand des konkreten Unternehmenskontext sowie der zugrunde liegenden Motivation erfolgen.

Theoretische Einordnung

Während die jüngsten Diskussionen um den Ansatz der bimodalen IT stark durch praxisorientierte Beiträge geprägt sind, wurde die zentrale Idee von dualen IT-Strukturen in der wissenschaftlichen Literatur bereits in den 1970er-Jahren thematisiert [Duncan, 1976; Abernathy, Utterback, 1978]. Vor allem die Arbeiten zur organisationalen Agilität und (IT-) Ambidexterität dienen als Grundlage und theoretische Fundierung für die Entwicklung von IT-Organisationsformen im digitalen Zeitalter [Jöhnk et al., 2017]. Organisationale Agilität bezeichnet dabei die Reaktion auf veränderte Marktbedingungen, entweder durch Antizipation und Innovationen oder aber durch Resilienz und spätere Anpassung [Bharadwaj, Sambamurthy, 2005]. IT-Ambidexterität überträgt diese grundlegenden Konzepte organisationaler Agilität auf die IT-Organisation und unterscheidet zwischen Exploitation (Effizienz, vergleichbar mit Modus 1 der  bimodalen IT) und Exploration (Innovation, vergleichbar mit Modus 2 der bimodalen IT), die in Kombination organisationale Agilität fördern [Gibson, Birkinshaw, 2004; Lee et al., 2015]. Auch wenn die technologischen Treiber der digitalen Transformation als neue Phänomene angesehen werden können [Châlons, Dufft, 2017], so ist die zugrundeliegende Dichotomie von Innovation und Effizienz als analog anzusehen [Sambamurthy et al., 2007].


Literatur

Abernathy, W. J.; Utterback, J. M.: Patterns of Industrial Innovation. Technology review, 80 (7), 41–47, 1978.

Bharadwaj, A.; El Sawy, O. A.; Paviou, P. A.; Venkatraman, N.: Digital Business Strategy: Toward a Next Generation of Insights. MIS Quarterly, 37 (2), 471–482, 2013.

Bharadwaj, A.; Sambamurthy, V.: Enterprise Agility and Information Technology Management: The CIO’s Manifesto. SIM Advanced Practices Council Publication, 2005.

Châlons, C.; Dufft, N.: The Role of IT as an Enabler of Digital Transformation. In: Abolhassan, F. (Hrsg.) The Drivers of Digital Transformation: Why There’s No Way Around the Cloud, 13–22, 2017.

Cohen, I.: The Bimodal IT fallacy – Multimodal business demands multimodal IT. http://www.cio.co.uk/opinion/disruptive-cio/bimodal-it-fallacy-multimodal-business-demands-multimodal-it-3641302/ (abgerufen am 01.12.2016).

Duncan, R. B.: The ambidextrous organization, designing dual structures for innovation. The management of organization design, 167–188, 1976.

Forrester Research: The False Promise Of Bimodal IT. https://go.forrester.com/wp-content/uploads/Forrester-False-Promise-of-Bimodal-IT.pdf (abgerufen am 01.12.2016).

Gartner: Taming the Digital Dragon: The 2014 CIO Agenda. https://www.gartner.com/imagesrv/cio/pdf/cio_agenda_insights2014.pdf (abgerufen am 01.12.2016).

Gibson, C.B.; Birkinshaw, J.: The Antecedents, Consequences, and Mediating Role of Organizational Ambidexterity. Academy of Management Journal, 47 (2), 209–226, 2004.

Haffke, I.; Kalgovas, B.; Benlian, A.:Options for Transforming the IT Function Using Bimodal IT. MIS Quarterly Executive, 16 (2), 101–120, 2017.

Horlach, B.; Drews, P.; Schirmer, I.: Bimodal IT: Business-IT Alignment in the Age of Digital Transformation. Multikonferenz Wirtschaftsinformatik (MKWI), 1417–1428, 2016.

INFINIT Consulting: Why Bimodal IT Will Fail & Trimodal Will Prevail in 3rd Platform Ecosystem. http://www.infinitconsulting.com/2016/01/why-bimodal-it-will-fail-trimodal-will-prevail-in-3rd-platform-ecosystem/ (abgerufen am 01.12.2016).

Jöhnk, J.; Röglinger, M.; Thimmel, M.; Urbach, N.: How to Implement Agile IT Setups: A Taxonomy of Design Options. European Conference on Information Systems (ECIS),1521–1535, 2017.

Lee, O.-K.; Sambamurthy, V.; Lim, K. H.; Wei, K. K.: How Does IT Ambidexterity Impact Organizational Agility? Information Systems Research, 26 (2), 398–417, 2015.

Sambamurthy, V.; Wei, K.-K.; Lim, K.; Lee, D.: IT-Enabled Organizational Agility and Firms’ Sustainable Competitive Advantage. Proceedings of the 28th International Conference on Information Systems (ICIS), 1–19, 2007.

Urbach, N.; Ahlemann, F.: IT-Management im Zeitalter der Digitalisierung – Auf dem Weg zur IT-Organisation der Zukunft. Springer: Berlin, Heidelberg, 2016.

White, M.; Pennington, J.; Galizia, T.; Habeck, M.: Tech Trends 2016 – Innovating in the digital era. https://dupress.deloitte.com/content/dam/dup-us-en/articles/devops-it-optimization-speed/DUP_TechTrends2016.pdf (abgerufen am 01.12.2016).

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