Multiperspektivische Unternehmensmodelle fördern die Realisierung, Nutzung und Pflege betrieblicher Informationssysteme, die eng mit der Strategie und der Organisation eines Unternehmens abgestimmt sind. Sie integrieren konzeptuelle Modelle der Softwaretechnik mit Modellen des betriebswirtschaftlichen Handlungskontextes.
Unternehmensmodelle
Die Planung, Realisierung und Nutzung betrieblicher Informationssysteme empfiehlt die gemeinsame Betrachtung der zu entwickelnden bzw. einzusetzenden Software und des betrieblichen Kontextes. Um die Potentiale der Informationstechnologie zu nutzen, ist es dabei häufig erforderlich, die betroffenen Unternehmensteile zu reorganisieren. Sowohl die Entwicklung von Software als auch die Neugestaltung von Handlungssystemen im Unternehmen sind mit einer erheblichen Komplexität verbunden, die den Einsatz zielgerichteter Abstraktionen empfiehlt. In der Softwaretechnik werden dazu konzeptuelle Modelle von Softwaresystemen eingesetzt. Auf diese Weise wird eine deutliche Reduktion der Komplexität von Software erreicht. Die Analyse und ggfs. Reorganisation der Handlungssysteme, in denen Software eingesetzt werden soll, wird dadurch allerdings allenfalls indirekt unterstützt. Im Unterschied dazu enthält ein Unternehmensmodell [Frank 1993, Scheer 2002, Ferstl und Sinz 2006] mindestens ein dediziertes Modell des Handlungssystems, also z. B. ein Geschäftsprozessmodell, und mindestens ein konzeptuelles Modell von Software wie etwa ein Objektmodell oder ein Komponentenmodell. Auf diese Weise werden Softwaremodelle durch Kontext angereichert, was Softwareentwickler dabei unterstützt, die mit der zu entwickelnden bzw. zu konfigurierenden Software verbundenen Ziele angemessen zu würdigen. Gleichzeitig erhalten Akteure außerhalb des IT-Bereichs nicht nur die Grundlage für ein differenziertes Verständnis der jeweils adressierten Software, sondern auch die Chance, die Handlungsoptionen, die sich durch die Gestaltung von Software ergeben, besser beurteilen zu können.
Sichten und Perspektiven
Die verschiedenen Teilmodelle eines Unternehmensmodells bieten den beteiligten Akteuren fachspezifische Sichten auf ein Unternehmen. Der Begriff Sicht (oder View) legt dabei analog zu seiner vorherrschenden Verwendung in der Informatik die Interpretation nahe, dass es sich hier um eine Projektion auf die Modelle eines Unternehmensmodells handelt, die für eine bestimmte Aufgabe angemessen erscheint. Im Unterschied dazu steht der Begriff Perspektive für eine kognitive Prädisposition, die durch spezifische Wahrnehmungs- und Konzeptualisierungsmuster, aber auch durch Präferenzen und Interessen gekennzeichnet ist [Frank 1993, S. 163 ff., Frank 2013]. Multiperspektivische Unternehmensmodelle betonen einerseits, dass ein Unternehmensmodell den Perspektiven wichtiger Nutzergruppen Rechnung tragen sollte. Andererseits ist damit aber auch ausgedrückt, dass die Perspektiven, die ein Unternehmensmodell unterstützt, Vereinfachungen darstellen, die den subjektiven Perspektiven der Nutzer nicht immer entsprechen. In Abb. 1 ist die konzeptuelle Strukturierung eines Unternehmens mittels Perspektiven und Aspekten auf einem hohen Abstraktionsniveau (“Ballpark View”) dargestellt. Sie bildet einen Ausgangspunkt für detailliertere Untersuchungen, die dann mit Hilfe ausgewählter Modelle, die untereinander integriert sind, durchgeführt werden können. Zur Illustration dieses Vorgehens sind in Abb. 1 zwei ausgewählte Diagrammarten der Methode MEMO dargestellt.
Abb. 1: Perspektiven der Methode MEMO und beispielhaft zugeordnete Diagramme
Aufbau einer Methode zur multiperspektivischen Unternehmensmodellierung
Die differenzierte Beschreibung einer Perspektive im Rahmen von Unternehmensmodellen erfordert Modellierungssprachen, die wesentliche Begriffe der jeweiligen Fachsprache rekonstruieren. Dazu gehören neben Sprachen der Systementwicklung wie z. B. objektorientierten Modellierungssprachen auch Sprachen zur Modellierung des Handlungskontextes (Geschäftsprozesse, Unternehmensziele, Ressourcen etc.). Um diese Modellierungssprachen zu integrieren, müssen sie über gemeinsame Konzepte verfügen. Dazu bietet es sich an, die Sprachen mittels einer gemeinsamen Metasprache zu beschreiben. Häufig werden zur Spezifikation von Modellierungssprachen Metamodelle eingesetzt, weil diese einerseits das gleiche Darstellungsparadigma betonen (und damit als anschaulich gelten dürfen) und sie andererseits eine günstige Grundlage für den Entwurf von Modellierungswerkzeugen darstellen. Eine Methode zur Unternehmensmodellierung entsteht durch die Ergänzung der Modellierungssprachen um Vorgehensmodelle für bestimmte Einsatzszenarien. Abb. 2 zeigt die erweiterbare Spracharchitektur einer Methode zur multiperspektivischen Unternehmensmodellierung.
Abb. 2: Spracharchitektur einer Methode zur multiperspektivischen Unternehmensmodellierung [Frank 2011, S. 34]
Neuere Entwicklungen
Während Unternehmensmodelle zunächst vor allem für die Entwicklung von Informationssystemen eingesetzt wurden, hat sich die Bandbreite der Einsatzszenarien in den letzten Jahren deutlich ausgeweitet. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die zunehmende Komplexität bestehender, oft heterogener IT-Landschaften, die IT-Verantwortlichen vor erhebliche Herausforderungen stellt. Sie umfassen die Gestaltung leistungsfähiger Architekturen sowie eine gezielte Unterstützung der Geschäftsprozesse („IT-Business-Alignment“). Zu diesem Zweck bieten sich Unternehmensmodelle an, die um Modelle von IT-Landschaften angereichert sind. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Unternehmensarchitektur. Dabei wird mitunter ein höheres, an den Entscheidungsprozessen der Unternehmensleitung orientiertes Abstraktionsniveau gewählt [Winter Fischer 2006]. In den letzten Jahren hat die Nutzung domänenspezifischer Modelllierungssprachen (DSML) zunehmend an Bedeutung gewonnen [Frank et al. 2014]. Beim Entwurf von DSML sind spezifische Zielkonflikte zu berücksichtigen, die sich mit traditionellen Spracharchitekturen kaum überwinden lassen. Spracharchitekturen, die beliebig viele Klassifikationsebenen zulassen (“multilevel modelling”, [Atkinson, Kühne 2008], [Frank 2014]) ermöglichen neue Ansätze der Unternehmensmodellierung, die durch ein höheres Maß an Flexibilität und Wiederverwendung gekennzeichnet sind.
Literatur
Atkinson, C.; Kühne, T.: Reducing accidental complexity in domain models. In: Software & Systems Modeling, Vol. 7, No. 3, 2008, pp.345–359
Ferstl O.K.; Sinz E.J.: Grundlagen der Wirtschaftsinformatik. 5. Auflage, Oldenbourg: München, 2006.
Frank, U.: Multiperspektivische Unternehmensmodellierung. Theoretischer Hintergrund und Entwurf einer objektorientierten Entwicklungsumgebung. (zugleich Habilitationsschrift, Universität Marburg). München: Oldenbourg, 1994.
Frank, U.: Multi-Perspective Enterprise Modeling: Foundational Concepts, Prospects and Future Research Challenges.” In: Software and Systems Modeling 2013 http://link.springer.com/article/10.1007/s10270-012-0273-9
Frank, U.; Strecker, S., Fettke, P.; Brocke, J. v.; Becker, J., Sinz, E.J.: The Research Field “Modeling Business Information Systems. In: Business&Information Systems Engineering. Vol. 6, No. 1, 2014, pp. 39–43
Frank, U.: Multilevel Modeling: Toward a New Paradigm of Conceptual Modeling and Information Systems Design. In: Business and Information Systems Engineering. Vol. 6, No. 6, 2014, pp. 319–337
Frank, U.: The MEMO Meta Modelling Language (MML) and Language Architecture. 2nd Edition. ICB Research Report, Nr. 43, 2011.
Scheer, A.W.: ARIS – Vom Geschäftsprozess zum Anwendungssystem. 4. Aufl., Springer: Berlin et al., 2002.
Winter, R.; Fischer, R.: Essential Layers, Artifacts, and Dependencies of Enterprise Architecture, in: Journal of Enterprise Architecture, 3, 2, 2007, S. 7-18.