Bibtex

@InCollection{,
  Year    = "2019", 
  Title    = "Modell", 
  Author    = "Strahringer, Prof. Dr. Susanne", 
  Booktitle    = "Gronau, Norbert ; Becker, Jörg ; Kliewer, Natalia ; Leimeister, Jan Marco ; Overhage, Sven (Herausgeber): Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik – Online-Lexikon",
  Publisher    = "Berlin : GITO",
  Url    = "https://wi-lex.de/index.php/lexikon/entwicklung-und-management-von-informationssystemen/systementwicklung/hauptaktivitaeten-der-systementwicklung/problemanalyse/konzeptuelle-modellierung-von-is/modell/", 
  Note    = "[Online; Stand 21. November 2024]",
}

Modell

Susanne Strahringer


Aus der Betriebswirtschaftslehre stammend hat sich in der Wirtschaftsinformatik ein zunächst abbildungsorientiertes Modellverständnis etabliert, das unter einem Modell eine strukturgleiche oder -ähnliche Abbildung eines realweltlichen Originals versteht, das zunehmend einem konstruktionsorientierten Verständnis weicht.

Modellbegriffe und -arten

Modelle als Abbildungen

Die sprachliche Beschreibung eines Gegenstandsbereiches kann als eine Abbildung dieses Bereiches auf ein Zeichensystem interpretiert werden. Sind Abbildung und Gegenstandsbereich strukturgleich oder strukturähnlich, so spricht man von einer isomorphen bzw. homomorphen Abbildung, die auch als Modell bezeichnet wird. Sprache ist somit ein mögliches Instrument zur Darstellung von Modellen, wobei die Art der Sprache die Art des Modelles beeinflusst. Nicht jegliche sprachliche Darstellung eines Gegenstandsbereiches hat jedoch Modellcharakter. Die Literatur kennt eine Vielzahl von Modellbegriffen und Abgrenzungsmöglichkeiten. Im Folgenden wird aufgrund des Bezugs zur Wirtschaftsinformatik zunächst vornehmlich auf betriebswirtschaftliche Grundlagen rekurriert.

Wie erwähnt, ist der Vorgang der Abbildung wesentlich für die Modellbildung. Die Abbildungsfunktion einer Aussage allein kann jedoch nicht ausreichend sein, um von Modellbildung zu sprechen. Ansonsten würde bereits die Begriffsbildung eine einfache Form der Modellbildung darstellen. Kosiol fordert daher, von Modellen erst dann zu sprechen, “wenn es sich um zusammengesetzte Gedankengebilde handelt, die aus der Totalinterdependenz der Wirklichkeit abgegrenzte und übersehbare

Teilzusammenhänge ausgliedern” [Kosiol 1961, S. 319]. Die Forderung nach zusammengesetzten Gedankengebilden schließt somit die Begriffsbildung als Form der Modellbildung aus. Wesentlich für die Modellbildung ist zudem der Begriff der Abstraktion, denn ein Modell stellt der Kosiol´schen Definition zufolge nur Teilzusammenhänge dar im Sinne einer Vereinfachung der darzustellenden Realität. Welche ihrer Eigenschaften bei der Modellierung weggelassen und welche besonders betont werden, also der Umfang der Abstraktion, wird bestimmt vom Zweck der Modellbildung.

Allgemeiner Modellbegriff nach Stachowiak

Eine bekannte Charakterisierung des Modellbegriffs, die die Zweckorientierung betont, geht auf Stachowiak zurück. Er führt drei Hauptmerkmale eines allgemeinen Modellbegriffs ein. Dies sind Abbildungs-, Verkürzungs- und Pragmatisches Merkmal. Das Abbildungsmerkmal bezieht sich auf das Modelloriginal. Der Aspekt des Verkürzungsmerkmals betont, dass Modelle nicht alle Eigenschaften des Originals abbilden, sondern nur eine Auswahl, die vom Modellierer und/oder vom Modellbenutzer (Modellsubjekt) abhängt. Erfolgt die Selektion dieser Eigenschaften nach operationalen Zielsetzungen der Benutzer und werden diese sowie die Zeiträume der Modellbenutzung miteinbezogen, so wird eine pragmatische Betrachtungsdimension erreicht. In diesem Sinne bezeichnet das pragmatische Merkmal des Modellbegriffs die Ersetzungsfunktion von Modellen bezüglich ihrer Originale, wobei die Ersetzung für bestimmte Subjekte (auch künstliche) innerhalb bestimmter Zeiträume und zu einem bestimmten Zweck erfolgt. Insgesamt sind Modelle folglich durch folgendes “Frage-Quadrupel” charakterisierbar: Wovon ? – Für wen ? – Wann ? – Wozu ? [Stachowiak 1974, S. 131-133].

Abbildungsmittel

Eine sehr grundlegende Unterscheidung von Modellarten ist diejenige nach dem Abbildungsmittel (siehe Abbildung 1), die sich auf die Art der benutzten Zeichen zurückführen lässt. Werden Zeichen verwendet, die ihrer äußeren Form nach eine anschaulich-bildliche Ähnlichkeit mit dem abgebildeten Objekt aufweisen (z.B. Bilder, Figuren, Gegenstände), so spricht man von (anschaulich-) ikonischen Modellen, die als Bildmodelle oder materiale Modelle (Gebildemodelle) vorkommen und zu den nicht-linguistischen Modellen gehören [Kosiol 1964, S. 754; Stachowiak 1974, S. 163]. Handelt es sich bei dem verwendeten Abbildungsmittel um Sprache, so geht es um sprachliche oder linguistische Modelle. Das einzelne Zeichen hat in solchen Modellen keine anschauliche Bedeutung; die Beziehung zum bezeichneten Gegenstand wird nicht über Ähnlichkeit hergestellt, sondern durch Festsetzung definiert. Linguistische Modelle können nach Art der verwendeten Sprache weiter gegliedert werden in verbale, logistische und mathematische Modelle sowie die von Stachowiak eingeführte Modellart der graphischen Darstellung, auch Darstellungsmodell genannt [Kosiol 1964, S. 754; Stachowiak 1974, S. 163, 165]. Darstellungsmodelle werden in Diagrammsprachen (auch visuelle Sprachen genannt) formuliert. In der Wirtschaftsinformatik sind nahezu ausschließlich linguistische Modelle von Bedeutung, insbesondere Darstellungsmodelle und verbale Modelle.

Modell-Abb1.jpg

Abb. 1: Klassifikation von Modellen nach dem Abbildungsmittel [Strahringer 1996, S. 21]

Modellfunktionen in der Betriebswirtschaftslehre

Unterscheidet man Modelle nach der Funktion, die sie erfüllen sollen, bzw. der Zielsetzung, die mit ihnen verfolgt wird, so ist in der Betriebswirtschaftslehre häufig eine Differenzierung in Beschreibungs-, Erklärungs- und Entscheidungsmodelle anzutreffen. Beschreibungsmodelle dienen der systematischen Beschreibung des betrachteten Gegenstandsbereichs und bestehen aus ausschließlich deskriptiven Satzsystemen. Über die Beschreibungsfunktion hinausgehend werden Modelle häufig mit der Zielsetzung der Erklärung oder Prognose realer Sachverhalte eingesetzt (Prognose- bzw. Erklärungsmodelle). Entscheidungsmodelle sollen unmittelbar das menschliche Handeln beeinflussen und in Entscheidungssituationen Unterstützung bieten. In der Wirtschaftsinformatik geht es häufig “lediglich” um Beschreibungsmodelle. Typischerweise beschreiben oder repräsentieren diese Informationssysteme, weshalb man auch von Informationsmodellen spricht. Auch wenn Beschreibungsmodelle aus einer betriebswirtschaftlichen Perspektive als einfache Modellart gelten können, haben sich in der Wirtschaftsinformatik zwei grundsätzliche Modelltheorien, die sich auf Beschreibungsmodelle beziehen, etabliert.

Modelltheorien der Wirtschaftsinformatik

Abbildungsorientiertes Modellverständnis

In der frühen Wirtschaftsinformatik hat sich ein aus der Betriebswirtschaftslehre stammendes abbildungsorientiertes Modellverständnis – wie am Anfang dieses Beitrags zugrunde gelegt – etabliert. Charakteristisch für diese Auffassung ist ein realweltlicher Bezug des Originals und eine Abbildungsbeziehung zwischen Original und Modell, die zwar zweckorientiert und subjektiv sein kann, aber als Reproduktion aufgefasst wird. Die zugrundeliegende Erkenntnisposition basiert auf der Annahme, dass es vom Betrachter unabhängige existente Verhältnisse gibt, die nur wahrgenommen bzw. entdeckt und abgebildet werden müssen [Schneider 2007, S. 153 f.; Thomas 2006, S. 54 f.]. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Modelle nach dem abbildungsorientierten Modellverständnis immer Modelle eines schon existenten Originals sein müssen (Ist- oder deskripitive Modelle, prä-existentes Original), sondern schließt auch Modelle einer zukünftigen Realität (Soll- oder präskriptive Modelle, post-existentes Original) mit ein.

Konstruktionsorientiertes Modellverständnis

Negiert man als Modellierer, dass Wirklichkeit objektiv existent und erfahrbar ist, dann ist von einem konstruktionsorientierten Modellverständnis auszugehen, das geprägt ist von aktiven Konstruktionsvorgängen konkreter Subjekte (Modellersteller, Modellnutzer) auf Basis interner mentaler Modelle, die durch Einsatz einer Modellierungssprache expliziert werden. Die Explizierung ist Aufgabe des Modellerstellers, erfolgt aber in Abstimmung mit den Modellnutzern, die den Zweck der Modellbildung vorgeben. Man spricht daher verkürzt auch oft von “Modellen für Etwas” (konstruktionsorientiert) vs. “Modellen von Etwas” (abbildungsorientiert) oder auch von Artefakten (Konstruktionen) anstelle von Modellen [Schneider 2007, S. 155 f.; Thomas 2006, S. 57 f.].


Literatur

Kosiol, Erich: Modellanalyse als Grundlage unternehmerischer Entscheidungen. In: ZfbF 13 (1961), S. 318-334.

Kosiol, Erich: Betriebswirtschaftslehre und Unternehmensforschung. In: ZfB 34 (1964) Nr. 12, S. 743-762.

Schneider, Stephan: Konstruktion generischer Datenmodelle auf fachkonzeptioneller Ebene im betrieblichen Anwendungskontext: Methode und Studie. Aachen : Shaker, 2007.

Stachowiak, Herbert: Allgemeine Modelltheorie. Wien und New York : Springer, 1974.

Strahringer, Susanne: Metamodellierung als Instrument des Methodenvergleichs: Eine Evaluierung am Beispiel objektorientierter Analysemethoden. Aachen : Shaker, 1996.

Thomas, Oliver: Management von Referenzmodellen: Entwurf und Realisierung eines Informationssystems zur Entwicklung und Anwendung von Referenzmodellen. Berlin : Logos, 2006.

Hier weiterverbreiten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert