Bibtex

@InCollection{,
  Year    = "2019", 
  Title    = "Konstruktionstechniken zur Referenzmodellierung", 
  Author    = "vom Brocke, Prof. Dr. Jan", 
  Booktitle    = "Gronau, Norbert ; Becker, Jörg ; Kliewer, Natalia ; Leimeister, Jan Marco ; Overhage, Sven (Herausgeber): Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik – Online-Lexikon",
  Publisher    = "Berlin : GITO",
  Url    = "https://wi-lex.de/index.php/lexikon/informations-daten-und-wissensmanagement/informationsmanagement/referenzmodellierung/konstruktionstechniken-zur-referenzmodellierung/", 
  Note    = "[Online; Stand 3. December 2024]",
}

Konstruktionstechniken zur Referenzmodellierung

Jan vom Brocke


Konstruktionstechniken bilden die methodische Grundlage zur Wiederverwendung von Modellinhalten [vom Brocke 2002]. Lange Zeit konzentrierten sich die Arbeiten auf die Konfiguration von Referenzmodellen. Neuere Techniken sind die Spezialisierung, die Aggregation, die Instanziierung und die Analogiekonstruktion, die situativ miteinander zu kombinieren sind. Die Techniken haben sich heute als Grundprinzipien der Konstruktion adaptiver Artefakte etabliert und werden in vielen Anwendungsgebieten der Wirtschaftsinformatik genutzt.

Techniken

Die Wiederverwendung von Referenzmodellen erfordert spezifische Regeln zur Übernahme, Adaption und Ergänzung von Modellinhalten. Die in der Referenzmodellierung heute etablierten Techniken sind in Abbildung 1 zusammenfassend dargestellt worden [vom Brocke 2002].

 KT_Abbildung_1

Abb. 1: Übersicht zu Konstruktionstechniken der Referenzmodellierung

Zu den einzelnen Techniken liegen Metamodelle vor [vom Brocke 2002; Delfmann 2006]. Sie beschreiben, welche Anforderungen jeweils an Modellierungssprachen bestehen, und wie vorzugehen ist, um die entsprechenden Konstruktionen vorzunehmen. Während die Konfiguration dem Prinzip der Reduktion eines Gesamtmodells folgt [Schütte 1998, S. 246 f.; Becker et al. 2002a, S. 26 f.; Rosemann, van der Aalst 2005; van der Aalst et al. 2005], ermöglichen die neueren Techniken eine Kombination und Adaption von Teilmodellen [vom Brocke 2002; vom Brocke 2006], wie sie insbesondere auch aus dem Software-Engineering bekannt sind [Coad 1992, S. 125ff; Heß 1993, S. 81f.; Loos 1996, S. 166f.]. Insgesamt bieten die Techniken heute einen weitgehend gefestigten Werkzeugkasten für die Referenzmodellierung [Becker et al. 2004b; Becker et al. 2004c, S. 334; Becker, Knackstedt 2004; Fettke, Loos 2004; Fettke, Loos 2005, S. 21 f.; Delfmann 2006]. Die Fragen ist daher: Welche Technik ist auszuwählen?

Auswahlentscheidung

Die Techniken unterscheiden sich im Wesentlichen darin, in welchem Umfang die Inhalte des letztlichen Modells bereits in der Konstruktion des Referenzmodells oder erst in dessen Anwendung im unternehmensindividuellen Kontext gestaltet werden. Je mehr Inhalte bereits im Referenzmodell beschrieben sind, desto größer ist der potenzielle Anwendungsnutzen im Hinblick auf Zeit, Kosten und Qualität. Entsprechend größer ist dann aber auch der Konstruktionsaufwand des Referenzmodells, da sämtliche möglichen Anforderungen der Anwendungsdomäne bereits zur Konstruktionszeit zu berücksichtigen sind. Die Verteilung der Techniken im Hinblick auf diese Kostenüberlegungen zeigt Abbildung 2.

 KT_Abbildung_2

Abb.2: Konstruktionstechniken im Kostenvergleich

Ein wesentlicher Treiber für die Wahl der richtigen Konstruktionstechnik ist die Komplexität der Anwendungsdomäne. Je weniger komplex, also je planbarer, die Anwendungsdomäne ist, desto nahe liegender ist es, Modellinhalte bereits zur Konstruktionszeit im Modell vorzusehen. Das Extrem bildet hier die Konfiguration. Je komplexer die Situation jedoch ist, desto vorteilhafter wird es, einen größeren Anteil der Konstruktionsleistung in den Bereich der Modelladaption zu verlagern. Das Extrem ist hier die Analogiekonstruktion.

Kombinationsformen

In Entscheidungen über die Auswahl von Konstruktionstechniken sind also situative Faktoren der jeweiligen Konstruktionsprozesse zu berücksichtigen. Typische Komplexitätstreiber sind die Planbarkeit der Anwendungen, der Standardisierungsgrad des zu gestaltenden Systems, die herrschende Umfelddynamik, die geforderte Modell­qualität, das zeitliche und finanzielle Budget sowie die Präferenzstruktur avisierter Modellnutzer [vom Brocke 2006]. Da die Ausprägungen dieser Faktoren bereits in einzelnen Kon­struktionsvorhaben für Teilbereiche stark variieren können, ist bei der Konstruktion von und mit Referenzmodellen ein situativer Mix adäquater Konstruktionstechniken anzustreben. Folgende Kombinationen sind grundsätzlich zu unterscheiden [vom Brocke 2006]:

  • Modellspezifische Kombination: Für eine Domäne werden mehrere Referenzmodelle entwickelt, die nach unterschiedlichen Techniken wiederzuverwenden sind.

  • Aspektspezifische Kombination: Auch in einem einzelnen Modell kann die Kombination unterschiedlicher Techniken erfolgen.

  • Zeitspezifische Kombination: Ebenso können in unterschiedlichen Phasen des Konstruktionsprozesses von Anwendungs- und Referenzmodellen zeitlich nacheinander unterschiedliche Techniken genutzt werden.

Die Herauforderung bei der Referenzmodellierung besteht also darin, einen situativen Mix an Konstruktionstechniken herzustellen. Einen entscheidenden Einfluss hat hier auch die Weiterentwicklung von Modellierungstools, die Konstruktionstechniken der Referenzmodellierung noch immer unzureichend unterstützen. Hier bestehen Forschungspotenziale.

Anwendungsgebiete

Die Konstruktionstechniken zur Referenzmodellierung finden heute in zahlreichen Gebieten Anwendung, wie z. B. im Method Enineering (Becker et al. 2007), im Management von Prozessvarianten (Hallerbach et al. 2010), im eGovernment (Karow et al. 2008), im IT Service Management (Brocke, Übernickel, Brenner 2010), im Engeriemanagement (Schlieter, Juhrisch, Niggemann 2010), in Standardisierungsinitiativen (Hofreiter et al. 2012), im Change Management (vom Brocke, Thomas 2006), in der Maschinensimulation (Esswein, Lehrmann, Stark (2010), im Hochschulmanagement (vom Brocke, Buddendick, Simons (2008), im eHealth (Baacke, Mettler, Rohner 2009), im eLearning (Grob, vom Brocke 2004), in der Smart Grids Gestaltung (Rohjans et al. 2011) sowie in der Gestaltungsorientierten Forschung allgemein (vom Brocke, Buddendick 2006).
Die Konstruktionstechniken können heute als Grundprinzipien für die Konstruktion von Adaptivität gelten, die aufgrund der hohen Änderungsdynamik von Anforderungen in vielen Gebieten gebraucht werden.


Literatur

Baacke, Lars ; Mettler, Tobias ; Rohner, Peter: Component-Based Process Modelling in Health Care. In: Newell, Sue (Hrsg.) ; Whitley, Edgar (Hrsg.) ; Pouloudi, Nancy (Hrsg.) ; Wareham, Jonathan (Hrsg.) ; Mathiassen, Lars (Hrsg.): Information Systems in a Globalising World: Challenges, Ethics and Practices, Proceedings of the 17th European Conference on Information Systems, 2009. – 17th European Conference on Information Systems (ECIS 2009). – Verona, Italy, S. 2390-2402.

Becker, J. ; Delfmann, P. ; Dreiling, A. ; Knackstedt, R. ; Kuropka, D.: Configurative Process Modeling. Outlining an Approach to Increased Business Process Model Usability. In: Proceedings der 2004 Information Resources Management Association Conference (IRMA), New Orleans, 2004b, 615-619.

Becker, J. ; Delfmann, P. ; Knackstedt, R.: Adaption fachkonzeptioneller Referenzprozessmodelle. In: Industrie Management (IM), 20(2004), Nr. 1, 19-21.

Becker, J. ; Knackstedt, R.: Referenzmodellierung im Data-Warehousing. State-of-the-Art und konfigurative Ansätze für die Fachkonzeption. In: Wirtschaftsinformatik, 46(2004), Nr. 1, 39-49.

Becker J, Knackstedt R, Pfeiffer D and Janiesch C (2007) Configurative method engineering – on the applicability of reference modeling mechanisms in method engineering. In Proceedings of the 13th Americas Conference on Information Systems (AMCIS 2007), Keystone.

Becker, J., Delfmann, P., Knackstedt, R., Kuropka, D.: Konfigurative Referenzmodellierung. In: Becker, J. ; Knackstedt, R. (Hrsg.): Wissensmanagement mit Referenzmodellen. Konzepte für die Anwendungssystem- und Organisationsgestaltung. Heidelberg, 2002a, 25-144.

Brocke, Henrik; Uebernickel, Falk; and Brenner, Walter, “Reuse-Mechanisms for Mass Customizing IT-Service Agreements” (2010). AMCIS 2010 Proceedings. Paper 392.u2028http://aisel.aisnet.org/amcis2010/392

Coad, P.: Object Oriented Patterns. In: Communications of the ACM, 35(1992), Nr. 9, 125-159.

Delfmann, P., Adaptive Referenzmodellierung. Methodische Konzepte zur Konstruktion und Anwendung wiederverwendungsorientierter Informationsmodelle, Berlin 2006, zugl. Diss. Univ. Münster.

Esswein,W.;Lehrmann,S.;Stark,J. (2010),The Potentialof Reference Modeling for Simulating Mobile Construction Machinery,Lecture Notes in Business InformationProcessing, 2010, Volume 43, Part 8, 683-694.

Fettke, P. ; Loos, P.: Der Beitrag der Referenzmodellierung zum Business Engineering. In: Praxis der Wirtschaftsinformatik (HMD), 41(2005), Nr. 241, 18-26.

Fettke, P. ; Loos, P.: Referenzmodellierungsforschung. In: Wirtschaftsinformatik, 46(2004), Nr. 5, 331-340.

Grob, H. L., & vom Brocke, J. (2004). Referenzmodelle für E-Learning-Systeme. Konzeption und Anwendung für die Produktionswirtschaft. In H. Corsten & B. A. (Eds.), Entwicklungen im Produktionsmanagement (pp. 43-62). München

Hallerbach, A., Bauer, T., Reichert, M.: Configuration and Management of Process Variants, in: Handbook on Business Process Management, Hrsg: J. vom Brocke, M. Rosemann, pp. 237–255. Springer (2010).

Heß, H.: Wiederverwendung von Software. Framework für betrieblixadche Informationssysteme. Wiesbaden, 1993.

Hofreiter,B.;Huemer,C.;Kappel,G.;Mayrhofer,D.vom Brocke,J. (2012),Inter-organizationalReference Models – May Inter-organizational Systems Profit from ReferenceModeling?In:Lecture Notes in Computer Science,2012,Volume 7350/2012, 32-47.

Karow, M.; Pfeiffer, D.; Räckers, M.: Empirical-Based Construction of Reference Models in Public Administrations. In: Proceedings of the Multikonferenz Wirtschaftsinformatik 2008. Referenzmodellierung. München, 2008. S. 1613-1624

Loos, P.: Geschäftsprozeßadäquate Informationssystemadaption durch gexadnexadrische Strukturen. In: G. Vossen, J. Becker (Hrsg.): Geschäftsprozeßxadmodellierung und Workflow-Maxadnagexadment. Bonn et al., 1996, 163-175.

Rohjans, S., Uslar, M., Cleven, A., Winter, R., & Wortmann, F. (2011). Towards an Adaptive Maturity Model for Smart Grids. In Proceedings of the 17th Power Systems Computation Conference (PSCC11).

Rosemann, M., van der Aalst, W. M. P.: A Configurable Reference Modelling Language, BPM Center Report, BPMcenter.org, Arbeitsbericht Nr. BPM-05-10, 2005.

Schlieter, Hannes; Juhrisch, Martin; and Niggemann, Stephan, “The Challenge of Energy Management – Status-Quo and Perspectives for Reference Models” (2010). PACIS 2010 Proceedings. Paper 48.

Schütte, R.: Grundsätze ordnungsmäßiger Referenzmodellierung: Konstruktion konfigurations- und anpassungsorientierter Modelle, Wiesbaden, 1998, zugl. Diss., Münster 1997.

van der Aalst, W. M. P., Dreiling, A., Gottschalk, F., Rosemann, M., Jansen-Vullers, M. H.: Configurable Process Models as a Basis for Reference Modeling. In: Kindler, E., Nüttgens, M. (Hrsg.): Proceedings der First International Workshop on Business Process Reference Models (BPRM 2005), Nancy, Frankreich, 2005, 76-82.

vom Brocke, J.: Design Principles for Reference Modelling. Reusing Information Models by Means of Aggregation, Specialisation, Instantiation, and Analogy. In: Fettke, P., Loos, P. (Hrsg.): Reference Modelling for Business Systems Analysis, Hershey, PA, 2006, 47-75.

vom Brocke, J.: Referenzmodellierung. Gestaltung und Verteixadlung von Konstruktionsprozessen. Münster, Universität, Diss. 2002, zugl. Berlin, 2003.

vom Brocke, J., & Buddendick, C. (2006). Reusable Conceptual Models. Requirements Based on the Design Science Research Paradigm. Paper presented at the First International Conference on Design Science Research in Information Systems and Technology (DESRIST 06), Claremont, CA, USA.

vom Brocke, J., & Thomas, O. (2006). Reference Modeling for Organizational Change. Applying Collaborative Techniques for Business Engineering. Paper presented at the 12th Americas Conference on Information Systems. Connecting the Americas, Acapulco, México, Atlanta, Georgia, USA.

vom Brocke, J., Buddendick, C., & Simons, A. (2008). Reference Modeling for Higher Education Budgeting: Applying the H2 Toolset for Conceptual Modeling of Performance-Based Funding Systems. In A. ter Hofstede, B. Benatallah & H.-Y. Paik (Eds.), Lecture Notes in Computer Science (LNCS) (Vol. 4928/2008, pp. 431-442). Berlin/Heidelberg: Springer.

 

Hier weiterverbreiten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert