Die konfigurative Referenzmodellierung bezeichnet ein methodisches Konzept zum redundanzfreien Variantenmanagement von konzeptionellen Informationsmodellen. Die Menge der zu verwaltenden Modellvarianten wird als Gesamtmodell integriert. Durch Modellprojektion werden mithilfe von automatisierbaren Konfigurationsmechanismen anwendungskontextspezifisch Modellvarianten aus dem Gesamtmodell abgeleitet.
Intention der konfigurativen Referenzmodellierung
In nahezu jedem Modellierungsprojekt ergibt sich die Notwendigkeit, die entstandenen Modelle an den Bedürfnissen unterschiedlicher Nutzergruppen auszurichten. Exemplarisch seien hier Repräsentanten verschiedener Unternehmensbereiche genannt, die sich durch betriebswirtschaftliche Merkmale unterscheiden, Vertreter verschiedene Einsatzzwecke der Modelle wie z. B. Anwendungssystem- oder Organisationsgestalter, sowie Nutzergruppen mit unterschiedlichen Präferenzen hinsichtlich der Modelldarstellung. Da zur Unterstützung der Nutzergruppenanforderungen ggf. selbst für gleiche Sachverhalte mehrere, unterschiedlich aufbereitete Modelle konstruiert werden müssen, besteht die Gefahr, dass Redundanzen in der Modellbasis entstehen, die Inkonsistenzen und erhöhte Wartungskosten nach sich ziehen können.
Die konfigurative Referenzmodellierung [Becker et al. 2002; Becker et al. 2003] adressiert dieses Problem in Form eines Modellvariantenmanagements, das Redundanzen in der Modellbasis vermeidet. Konfigurierbare Referenzmodelle enthalten Regeln, die festlegen, wie die Modelle in Abhängigkeit nutzergruppenspezifisch gewählter Ausprägungen von Parametern – so genannten Konfigurationsparametern – zu verändern sind. Bei der Konfiguration werden den Regeln entsprechend aus einem multiperspektivischen Gesamtmodell, in das sämtliche nutzergruppenspezifischen Informationen integriert sind, einzelne nutzerspezifische Modelle abgeleitet. Für die jeweilige Nutzergruppe irrelevante Modellbestandteile werden ausgeblendet. Der Konfigurationsprozess entspricht einer Projektion bzw. Reduzierung des Ursprungsmodells.
„Konfigurativ“ bedeutet demgemäß – in Anlehnung an die Konfiguration von Software – „anpassbar“ durch Anzeigen oder Ausblenden von Teilbereichen eines Modells abhängig vom Nutzer. Der Term „Referenzmodellierung“ adressiert die durch die Multiperspektivität erreichte erhöhte Wiederverwendbarkeit der Modelle.
Funktionsweise der konfigurativen Referenzmodellierung
Exemplarische Auswirkungen eines Konfigurationsprozesses sind in Abbildung 1 dargestellt [Becker et al. 2002]. Ein Prozessmodell der Rechnungsprüfung wird den Anforderungen unterschiedlicher Geschäftsarten im Handel entsprechend konfiguriert. In Abhängigkeit von der Geschäftsart werden Prozessäste, die bei der Ausführung der jeweiligen Geschäftsart nicht benötigt werden, ausgeblendet.
Abbildung 1: Exemplarische Konfiguration eines Prozessmodells
Spezifikation der konfigurativen Referenzmodellierung
Ordnungsrahmen
Konfigurationen werden mithilfe von Konfigurationsmechanismen realisiert, die die nutzergruppenspezifischen Modelle aus dem multiperspektivischen Gesamtmodell ableiten. Diese Mechanismen werden als Spracherweiterungen von konzeptionellen Modellierungssprachen formal spezifiziert. Zur Strukturierung der Spezifikation wird ein Ordnungsrahmen verwendet, der durch die drei Dimensionen Konfigurationsmechanismen, Modellebenen und Entwicklungsphasen aufgespannt wird (vgl. Abbildung 2) [Becker et al. 2002].
Abbildung 2: Ordnungsrahmen
Konfigurationsmechanismen
Die erste Dimension des Ordnungsrahmens umfasst fünf Kategorien von Konfigurationsmechanismen, die jeweils unterschiedliche Aspekte der Modelle variieren [Becker et al. 2002]:
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Modelltypselektion: Werden Modelle mit der gleichen Modellierungssprache erstellt, so gehören sie dem gleichen Modelltyp an. Die Relevanz der Modelltypen kann von der jeweiligen Nutzergruppe abhängig sein. Modelltypselektionen schränken die Modellbasis auf die selektierten Modelltypen ein.
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Elementtypselektion: Elementtypselektionen ermöglichen es, zu Modelltypen Varianten zu bilden, die sich in der Menge der verwendbaren Modellelementtypen unterscheiden. Je nach Nutzergruppe kann es erforderlich sein, Modellelemente, die zu einem bestimmten Elementtyp gehören, auszublenden.
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Elementselektion: Auf Basis der Elementselektion werden einzelne, konkrete Modellelemente ausgeblendet, die für die entsprechende Nutzergruppe nicht relevant sind (bspw. eine konkrete Prozessmodellfunktion „Rechnung gegen Wareneingang prüfen“; vgl. auch das Beispiel in Abbildung 1).
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Bezeichnungsvariation: Die Bezeichnungsvariation berücksichtigt, dass es erforderlich sein kann, die Bezeichnungen von Modellelementen in Abhängigkeit von Nutzergruppen auszutauschen. Sie realisiert damit ein nutzergruppenabhängiges Synonymmanagement.
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Darstellungsvariation: Mit der Darstellungsvariation lässt sich die Repräsentation von Modellen variieren. Je nach Nutzergruppe können Modellelementtypen unterschiedliche Symbole bzw. Modelltypen unterschiedliche Anordnungsformen oder Leserichtungen zugewiesen werden.
Modellebenen
Die Spezifikation der modellierungssprachlichen Erweiterungen der konfigurative Referenzmodellierung liegt in Form von sprachbasierten Metamodellen vor [Strahringer 1996]. In der Dimension Modellebenen werden die Meta-Metamodell-, die Metamodell- und die Modellebene unterschieden. Das Meta-Metamodell beschreibt neben der Sprache des Metamodells insbesondere grundlegende Konstrukte, die für die Spezifikation der Konfigurationsmechanismen notwendig sind. Der Vorteil der Spezifikation auf Meta-Metamodellebene liegt darin, dass diese für nahezu beliebige fachkonzeptionelle Modellierungssprachen wieder verwendet werden können. Des Weiteren lassen sich Konfigurationen vornehmen, die nicht auf Ebene eines einzelnen Modells, sondern auf Ebene seiner Sprache ansetzen, d. h. sämtliche in der Sprache formulierten Modelle betreffen. Die Metamodellebene dient der Spezifikation der im Modellierungsprojekt verwendeten (beliebigen) Modellierungssprachen. Auf Modellebene werden die Anpassungen sichtbar, die sich durch Anwendung der Konfigurationsmechanismen auf höheren Modellebenen ergeben.
Entwicklungsebenen
Der Ordnungsrahmen wird ergänzt durch die Dimension der Entwicklungsphasen, die sich in Anlehnung an die Beschreibungsebenen der Architektur integrierter Informationssysteme (ARIS) in das Fach- und DV-Konzept sowie die Implementierung gliedern. Die Implementierungsebene repräsentiert die Realisierung der konfigurativen Referenzmodellierung in Form eines Modellierungswerkzeugs. Entsprechende Prototypen werden bei [Becker, Delfmann, Rieke 2006; Delfmann, Knackstedt 2007a; Delfmann, Knackstedt 2007b] diskutiert.
Verwandte Konzepte und Weiterentwicklungen
Erste Vorarbeiten zur konfigurativen Referenzmodellierung liefert bereits [Schütte 1998], der für Ereignisgesteuerte Prozessketten und Entity-Relationship-Modelle spezielle Operatoren, sog. Build-Time-Operatoren, zum Zweck des Variantenmanagements einführt. [Soffer, Golany, Dori 2003] und [Rosemann, van der Aaalst 2007] entwickeln unabhängig von der konfigurativen Referenzmodellierung Variantenmanagementansätze für spezielle Modellierungssprachen. [vom Brocke 2003] greift die konfigurative Referenzmodellierung auf und ordnet sie in einen Rahmen für Referenzmodell-Konstruktionstechniken ein.
Eine Weiterentwicklung der konfigurativen Referenzmodellierung, die die von [vom Brocke 2003] vorgeschlagenen Konstruktionstechniken der Aggregation, Instanziierung, Spezialisierung (alternativ: freie Modifikation) und Analogiebildung mit der Konfiguration integriert, bildet die adaptive Referenzmodellierung. Erste Diskussionen und Spezifikationen der adaptiven Referenzmodellierung finden sich bei [Becker, Delfmann, Knackstedt 2004], eine vollständige Spezifikation bei [Delfmann 2006].
Literatur
Becker, Jörg; Delfmann, Patrick; Knackstedt, Ralf: Konstruktion von Referenzmodellierungssprachen. Ein Ordnungsrahmen zur Spezifikation von Adaptionsmechanismen für Informationsmodelle. In: Wirtschaftsinformatik 46 (2004), Nr. 4, S. 251-264.
Becker, Jörg; Delfmann, Patrick; Knackstedt, Ralf; Kuropka, Dominik: Konfigurative Referenzmodellierung. In: Becker, Jörg; Knackstedt, Ralf (Hrsg.): Wissensmanagement mit Referenzmodellen. Konzepte für die Anwendungssystem- und Organisationsgestaltung. Heidelberg: Physica, 2002, S. 25-144.
Becker, Jörg; Delfmann, Patrick; Rieke, Tobias (Hrsg.): Effiziente Softwareentwicklung mit Referenzmodellen. Berlin et al.: Springer, 2007.
Becker, Jörg; Knackstedt, Ralf; Kuropka, Dominik; Delfmann, Patrick: Konfiguration fachkonzeptioneller Referenzmodelle. In: Uhr, Wolfgang; Esswein, Werner; Schoop, Eric (Hrsg.) Wirtschaftsinformatik 2003/Band II. Medien – Märkte – Mobilität. Heidelberg: Physica, 2003, S. 901-920.
vom Brocke, Jan: Referenzmodellierung. Gestaltung und Verteilung von Konstruktionsprozessen. Berlin: Logos, 2003.
Delfmann, Patrick: Adaptive Referenzmodellierung. Methodische Konzepte zur Konstruktion und Anwendung wiederverwendungsorientierter Informationsmodelle. Berlin: Logos, 2006.
Delfmann, Patrick; Knackstedt, Ralf: Konfiguration von Informationsmodellen – Untersuchungen zu Bedarf und Werkzeugunterstützung. In: Oberweis, Andreas; Weinhardt, Christof; Gimpel, Henner; Koschmider, Agnes; Pankratius, Victor; Schnizler, Björn (Hrsg.): eOrganisation: Service-, Prozess-, Market-Engineering. Proceedings der 8. Internationalen Tagung Wirtschaftsinformatik. Band 2. Karlsruhe: Universitätsverlag Karlsruhe, 2007a, S. 127-144.
Delfmann, Patrick; Knackstedt, Ralf: Towards Tool Support for Information Model Variant Management – A Design Science Approach. In: Proceedings of the European Conference on Information Systems (ECIS). St. Gallen, 2007b.
Rosemann, Michael; van der Aalst, Wil: A Configurable Reference Modelling Language. In: Information Systems 23 (2007), Nr. 1, S. 1-23.
Schütte, Reinhard: Grundsätze ordnungsmäßiger Referenzmodellierung. Konstruktion konfi¬gurations- und anpassungsorientierter Modelle. Wiesbaden: Gabler, 1998.
Soffer, Pnina; Golany, Boaz; Dori, Dov: ERP modeling: a comprehensive approach. In: Information Systems 28 (2003), Nr. 9, S. 673-690.
Strahringer, Susanne: Metamodellierung als Instrument des Methodenvergleichs. Eine Evaluierung am Beispiel objektorientierter Analysemethoden. Aachen: Shaker, 1996.