Bibtex

@InCollection{,
  Year    = "2019", 
  Title    = "Informationssystem-Architektur", 
  Author    = "Winter, Prof. Dr. Robert", 
  Booktitle    = "Gronau, Norbert ; Becker, Jörg ; Kliewer, Natalia ; Leimeister, Jan Marco ; Overhage, Sven (Herausgeber): Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik – Online-Lexikon",
  Publisher    = "Berlin : GITO",
  Url    = "https://wi-lex.de/index.php/lexikon/informations-daten-und-wissensmanagement/informationsmanagement/information/informationssystem-architektur/", 
  Note    = "[Online; Stand 21. November 2024]",
}

Informationssystem-Architektur

Robert Winter


Die Informationssystem-Architektur beschreibt die Anordnung der grundlegenden Elemente eines Informationssystems, ihre Verknüpfung miteinander sowie Prinzipien für ihre Konstruktion, Weiterentwicklung und Nutzung. Da sowohl menschliche wie auch maschinelle Aufgabenträger (Software) Elemente eines Informationssystems sein können, werden mit der Informationssystem-Architektur nicht nur technische Sichten, sondern auch fachliche Sichten (Organisation und Geschäftsprozesse, u. U. auch Strategie) abgebildet.

Begriffsbestimmung

Eine Architektur beschreibt die grundlegende Struktur eines Systems mit seinen Elementen, den Beziehungen zwischen diesen Elementen sowie den Beziehungen des Systems zur Umwelt (ISO 2000). Darüber hinaus sollten auch Prinzipien für die Konstruktion, Weiterentwicklung und Nutzung des Systems beschrieben werden (IEEE 2000). Eine Architektur unterscheidet sich von anderen Ansätzen (z. B. der unternehmensweiten Datenmodellierung) zum einen durch eine

ganzheitliche Sicht auf ein System, was die Breite der betrachteten Elemente angeht. Zum anderen unterscheidet sie sich durch die Beschränkung auf aggregierte Elemente und Beziehungen, was den Grad der Detaillierung angeht.

Ein Informationssystem (IS) ist ein soziotechnisches System, welches die Elementtypen Aufgabe, Technik und Mensch umfassen kann (Heinrich 1990). Ein Informationssystem beinhaltet Informationen für die Durchführungs-, Führungs-, Analyse- und Entscheidungsfunktionen einer Organisation und stellt diese den Aufgabenträgern zur Verfügung (Davis und Olson 1985).

Die Systemgrenzen eines Informationssystems werden in der Wirtschaftsinformatik unterschiedlich weit gesetzt. Bereits Kirsch und Klein (1977, S. 150 ff.) differenzieren als Personengruppen im Umfeld von Informationssystemen IS-Konstrukteure, IS-Operateure sowie IS-Nutzer und identifizieren, abhängig von den beteiligten Personengruppen, drei Typen von Informationssystembegriffen: erstens einen engen IS-Begriff, der den Menschen als Systemelement ausblendet und stark auf die Technik fokussiert, zweitens einen mittelweiten IS-Begriff, der die Personengruppen IS-Konstrukteure und IS-Operateure umfasst und drittens einen weiten IS-Begriff, der zusätzlich die Personengruppe IS-Nutzer in das System einschließt. Dieser Beitrag folgt dem weiten IS-Begriff.

Die IS-Architektur beschreibt die Anordnung der grundlegenden Systemelemente eines IS, ihre Verknüpfung miteinander sowie Prinzipien für ihre Konstruktion und Weiterentwicklung. Um dem ganzheitlichen Charakter einer IS-Architektur gerecht zu werden, schlägt Krcmar vor, durch die IS-Architektur die Geschäftsstrategie, die Prozess- und Aufbauorganisations-Architektur, die Anwendungs-, Daten- und Kommunikations-Architektur sowie die Infrastruktur abzubilden (Krcmar 1990, S. 399). Die IS-Architektur beschreibt somit neben der IT-Umsetzung (wie z. B. Anwendungssysteme oder IT-Infrastrukturen) auch die Fachlichkeit (wie Geschäftsprozesse und Strategie). Der primäre Zweck der IS-Architektur liegt jedoch nicht darin, die Fachlichkeit abzubilden bzw. weiterzuentwickeln; Vielmehr soll die Konstruktion und Evolution der IT-Unterstützung der fachlichen Anforderungen unterstützt werden.

Die weite Definition der IS-Architektur kommt dem Begriff der Unternehmensarchitektur (Enterprise Architecture) nahe. Frühe, im Rahmen von Forschungsprogrammen entstandene Unternehmensarchitektur-Frameworks sind beispielsweise das CIMOSA-Framework (ESPRIT Forschungsprojekt seit 1985: AMICE 1988), das GIM-GRAI-Framework (zuerst Dokumentiert in Dissertationen z. B. von Doumeingts 1984) oder das etwas später entstandene PERA-Framework (Williams 1992). Viele dieser Frameworks haben heute kaum noch praktische Bedeutung, lieferten jedoch Grundlagen für nachfolgende Arbeiten wie etwa dem Zachman-Framework (Zachman 1987) oder TOGAF (The Open Group 2009). Aufgrund ihrer Komplexität und den unterschiedlichen Zielstellungen bei der Entwicklung lassen sich diese Frameworks nur bedingt miteinander vergleichen. Mit dem Generalised Reference Architecture and Methodology (GERAM) Framework (IFIP–IFAC Task Force 1999) existiert der Versuch, bestehenden Frameworks einen gemeinsamen Ordnungsrahmen zu geben, welcher in seinen Ausführungen jedoch weitgehend abstrakt bleibt. Ein Überblick zum im Jahr 2008 aktuellen Stand der Diskussion zu Unternehmensarchitektur in Wissenschaft und Praxis findet sich in (Aier et al. 2008).

Bestandteile der IS-Architektur

Aufgrund der hohen Komplexität einer Gesamtsicht betrieblicher IS unterteilen die meisten Ansätze die IS-Architektur in verschiedene Betrachtungsebenen. Da IS fachliche Strukturen und technische Strukturen verbinden, fokussieren die Betrachtungsebenen entweder auf strategisch-fachliche oder auf operativ-technische IS-Aspekte. Wird das Paradigma „IT follows business“ (vgl. Informationsmanagement) zu Grunde gelegt, so beeinflusst die Beschaffenheit der strategisch-fachlichen Aspekte die Gestaltung der operativ-technischen Aspekte. Winter und Fischer (2007) identifizieren fünf wesentliche Ebenen in einer Analyse verschiedener Ansätze zur IS-Architektur – die Strategieebene, die Organisationsebene, die Alignment-Ebene, die Software- und Datenebene sowie die IT-Infrastrukturebene.

Auf Strategieebene wird beschrieben, was eine Organisation ausmacht. Sie enthält Modelle der Strategie eines Unternehmens, insbesondere von Wertschöpfungsnetzwerken, Kunden- und Lieferantenprozessen, anvisierten Marktsegmenten, Leistungen, organisatorischen Zielen und strategischen Projekten.

Auf Organisationsebene wird beschrieben, wie eine Organisation ihre Aufgaben erfüllt. Sie enthält Modelle der Geschäftsprozesse (vgl. Geschäftsprozessmodellierung), der Aufbauorganisation, der Verantwortlichkeiten und der Informationsflüsse.

Auf Software-, Daten- und IT-Infrastrukturebene wird aus IS-Sicht beschrieben, womit eine Organisation ihre Ziele erreicht. Die Softwarearchitektur beschreibt den Zusammenhang der funktionalen Verflechtung zwischen Softwarekomponenten und Datenstrukturen (vgl. Datenarchitektur). Die IT-Infrastrukturarchitektur beschreibt die eingesetzte Hardware, hardwarenahe Software sowie technische Netzwerke.

Neben diesen vier Ebenen wird eine fünfte Ebene zwischen der fachlichen Organisationsebene und der technischen Software- und Datenebene vorgeschlagen, deren Ziel das IT/Business Alignment ist. Diese Alignment-Architektur (Aier und Winter 2009) entkoppelt die fachlichen und technischen Ebenen beispielsweise durch fachliche Services, Applikationen und Domänen, sodass Änderungen auf der Fachseite nicht zwangsläufig Änderungen in der IT nach sich ziehen und umgekehrt.

Die eigentliche Abbildung der IS-Achitektur wird in den meisten der betrachteten Ansätze durch entsprechende Werkzeuge und spezifische Modellierungssprachen unterstützt. Beispiele für entsprechende Werkzeuge sind das ARIS Toolset (Scheer und Schneider 2005), MEMO Center (Frank 2002), Archimate (Lankhorst et al. 2004) oder ADOben (Aier et al. 2009b).

Die hier dargestellten Ebenen und Teilarchitekturen stellen die größtmögliche Breite einer IS-Architektur dar. Je nach Analyse- und Gestaltungsziel kann der beschriebene Umfang jedoch deutlich geringer sein; IT-Bereiche fokussieren naturgemäß häufig auf Software-, Daten- und Infrastrukturaspekte.

Einsatzszenarien von IS-Architekturmodellen

Der zentrale Nutzeffekt der Explikation der IS-Architektur ist die Dokumentation und somit die Transparenz des Gestaltungsgegenstands. Darüber hinaus existieren für IS-Architekturmodelle sehr unterschiedliche Nutzungsszenarien. Zum einen können die Architekturmodelle selbst analysiert werden, um daraus Aussagen beispielsweise über die Qualität oder andere Eigenschaften der Architektur abzuleiten. Zum anderen können Architekturmodelle als Entscheidungsgrundlage genutzt werden, um die Informationsbedarfe verschiedener Anspruchsgruppen zu befriedigen. Für den zweiten Fall seien exemplarisch IT/Business Alignment, IT-Konsoli­dierung, Post-Merger-Integration oder das Projektportfoliomanagement genannt (Bucher et al. 2006).

Neben der Dokumentation und Analyse von Ist-IS-Architekturmodellen werden zu Planungszwecken Soll-IS-Architekturmodelle erstellt. Solche Soll-Modelle stellen oft unterschiedliche IS-Architektur-Varianten für einen Zeitpunkt bzw. IS-Architektur-Varianten für unterschiedliche Zeitpunkte dar (Buckl et al. 2009). Für die Überführung von Ist- in Soll-Zustände können ebenfalls (alternative) Transformationspfade in Modellen abgebildet werden (Aier et al. 2009a).

Dem Nutzen von IS-Architekturmodellen stehen die Kosten gegenüber, die im Rahmen von Modellerhebung und laufender Modellaktualisierung anfallen. Durch den gezielten Einsatz von Methoden, Modellen und Werkzeugen zur Architekturgestaltung lässt sich dieses Kosten-/Nut­zenverhältnis verbessern (vgl. Informationssystem-Architekturen, Gestaltung: Methoden, Modelle, Werkzeuge.)

Management der Gegenstände der IS-Architektur

Um die oben beschriebenen Nutzenpotentiale auszuschöpfen, bedarf es eines dauerhaften Managements der IS-Architektur. Ein entsprechendes Vorgehensmodell ist in Abbildung 1 darge­stellt. Das Vorgehensmodell ist in drei Phasen unterteilt: Architekturführung, Architekturweiterentwicklung und Architekturvertretung (Hafner 2005, S. 201-208).

Im Rahmen der Architekturführung werden zunächst Anforderungen der IS-Strategie identifiziert, anhand derer Architekturbereiche beurteilt werden. Daraus lassen sich Maßnahmenkom­plexe ableiten und in einem Projektplan aufführen. Daran schließt sich die Phase der Architekturentwicklung an, in der operative Anforderungen bestimmt werden sowie Lösungen entworfen und umgesetzt werden. Dabei sind regelmäßig Abstimmungen mit den Anforderungen der IS-Strategie notwendig. Letztlich werden in der Phase der Architekturvertretung die Architekturartefakte kommuniziert. Architekturzielgruppenprojekte werden bzgl. ihrer Architekturkonformität beurteilt und dabei unterstützt, die Vorgaben einzuhalten.

IS-Architektur-Management (Hafner)

Abbildung 1: Vorgehensmodell zum Management der IS-Architektur (Hafner 2005, S. 203)


Literatur

Aier, Stephan; Gleichauf, Bettina; Saat, Jan; Winter, Robert: Complexity Levels of Representing Dynamics in EA Planning. In: Albani, Antonia; Barijs, Joseph; Dietz, Jan L. G. (Hrsg.): Advances in Enterprise Engineering III, Proc. 5th Int. Workshop CIAO! 2009 and 5th Int. Workshop EOMAS 2009, LNBIP 34, S. 55-69, Springer : Berlin, 2009a.

Aier, Stephan; Kurpjuweit, Stephan; Saat, Jan; Winter, Robert: Business Engineering Navigator – A “Business to IT” Approach to Enterprise Architecture Management. In: Bernard, Scott; Doucet, Gary; Gøtze, John; Saha, Pallab (Hrsg.): Coherency Management – Architecting the Enterprise for Alignment, Agility, and Assurance. Author House : Bloomington, 2009b. (weitere Informationen unter: http://adoben.iwi.unisg.ch/)

Aier, Stephan; Riege, Christian; Winter, Robert: Unternehmensarchitektur – Literaturüberblick und Stand der Praxis. In: Wirtschaftsinformatik 50 (4), S. 292-304, 2008.

Aier, Stephan; Winter, Robert: Virtuelle Entkopplung von fachlichen und IT-Strukturen für das IT/Business Alignment – Grundlagen, Architekturgestaltung und Umsetzung am Beispiel der Domänenbildung. In: Wirtschaftsinformatik 51 (2), S. 175-191, 2009.

AMICE, Esprit Consortium: Open System Architecture for CIM. Springer : Berlin, 1988.

Bucher, Tobias; Fischer, Ronny; Kurpjuweit, Stephan; Winter, Robert: Analysis and Application Scenarios of Enterprise Architecture – An Exploratory Study. In: Society, Ieee Computer (Hrsg.): EDOC Workshop on Trends in Enterprise Architecture Research (TEAR 2006). IEEE Computer Society, Los Alamitos, CA, USA, 2006.

Buckl, Sabine; Ernst, Alexander M.; Matthes, Florian; Schweda, Christian M.: An Information Model for Landscape Management – Discussing Temporality Aspects. In: Feuerlicht, George; Lamersdorf, Winfried (Hrsg): Service-Oriented Computing – ICSOC 2008 Workshops, LNCS 5472, S. 363-374, Springer : Berlin, 2009.

Davis, Gordon Bitter; Olson, Margrethe H.: Management Information Systems: Conceptual Foundations, Structure, and Development. 2. Aufl., Mcgraw-Hill College : New York, 1985.

Doumeingts, G.: Methode GRAI: méthode des conception des systèmes en productique. Dissertation, Université de Bordeaux I, Bordeaux 1984.

Frank, Ulrich: Multi-Perspective Enterprise Modeling (MEMO) – Conceptual Framework and Modeling Languages. Proceedings of the Hawaii International Conference on System Sciences (HICSS-35), 2002. (weitere Informationen unter: http://www.wi-inf.uni-duisburg-essen.de/FGFrank/index.php?lang=en&&groupId=1&&contentType=ResearchInterest&&topicId=10)

Hafner, Martin: Entwicklung einer Methode für das Management der Informationssystemarchitektur im Unternehmen. Dissertation, Universität St.Gallen / Difo-Druck : Bamberg, 2005.

Heinrich, Lutz J.: Der Prozeß der Systemplanung und entwicklung. In: Kurbel, Karl; Strunz, Horst (Hrsg.): Handbuch Wirtschaftsinformatik. Stuttgart, S. 199-214, 1990.

IEEE: IEEE Recommended Practice for Architectural Description of Software Intensive Systems (IEEE Std 1471-2000), 2000.

IFIP–IFAC Task Force: GERAM: Generalised Enterprise Reference Architecture and Methodology, Version 1.6.3. http://www.cit.gu.edu.au/~bernus/taskforce/geram/versions/geram1-6-3/GERAMv1.6.3.pdf, Abruf am 03.12.2007, 1999.

ISO: ISO 15704:2000: Industrial automation systems – Requirements for enterprise-reference architectures and methodologies. Genf, 2000.

Kirsch, Werner; Klein, Heinz: Management-Informationssysteme. 1. Aufl., Kohlhammer : Stuttgart et al., 1977.

Krcmar, Helmut: Bedeutung und Ziele von Informationssystemarchitekturen. In: Wirtschaftsinformatik 32 (5), S. 395-402, 1990.

Lankhorst, M.; van Buuren, R.; van Leeuwen, D.; Jonkers, H.; ter Doest, H.: Enterprise architecture modelling – the issue of integration. In: Advanced Engineering Informatics 18 (4), S. 205-216, 2004. (weitere Informationen unter: http://www.archimate.org)

Scheer, August-Wilhelm; Schneider, Kristof: ARIS – Architecture of Integrated Information Systems. In: Bernus, Peter; Mertins, Kai; Schmidt, Günter (Hrsg.): Handbook on Architectures of Information Systems. Springer : Berlin, Heidelberg, S. 605-623, 2005. (weitere Informationen unter: http://www.ids-scheer.de/aris)

The Open Group: TOGAF Version 9 “Enterprise Edition” – The Open Group Architecture Framework (TOGAF). Van Haren, Zaltbommel, 2009.

Williams, T. J.: The Purdue Enterprise Reference Architecture – A Technical Guide for CIM Planning and Implementation. Instrument Society of America, Research Triangle Park, N.C, 1992.

Winter, Robert; Fischer, Ronny: Essential Layers, Artifacts, and Dependencies of Enterprise Architecture. In: Journal of Enterprise Architecture 3 (2), S. 7-18, 2007.

Zachman, John A.: A Framework for Information Systems Architecture. In: IBM Systems Journal 26 (3), S. 276-292, 1987.

 

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