Ein Expertensystem (XPS) ist ein computergestütztes Planungssystem, d.h. ein Softwaresystem, das über das Wissen (Knowledge) von Experten in einem bestimmten (abgegrenzten) Problembereich (Wissensdomäne) verfügt und fähig ist, dieses Wissen zur Lösung von Problemen anzuwenden. Es wird auch als Wissensbasiertes System (Knowledge Based System) bezeichnet und stellt einen wichtigen Bereich der Forschung zur Künstlichen Intelligenz (Artificial Intelligence) dar.
Einsatzgebiete
Expertensysteme lassen sich in unterschiedlichen Bereichen einsetzen. So sind sie geeignet für:
-
die Interpretation (Interpretationssysteme), d.h. die Auswertung bzw. Analyse von Informationen, so z.B. von betrieblichen Daten (Datenanalysen), von akustischen (Sprachverarbeitung) und optischen Informationen (Bildverarbeitung);
-
die Diagnose von Systemzuständen (Diagnosesysteme), d.h. die Ermittlung von Fehlerzuständen und ihrer Ursachen in technischen Systemen (z.B. DV-Anlagen und Netze, KFZ-Motoren) und in biologischen Systemen (z.B. medizinische Diagnose);
-
die Konstruktion bestimmter Objekte nach vorgegebenen Spezifikationen (Konstruktionssysteme), z.B. Entwurf (Design) eines Bauplans mit Hilfe von CAD-Systemen;
-
das Planen von Aktionsfolgen, so z.B. beim Robotereinsatz, in der Produktionssteuerung oder in der betriebswirtschaftlichen Planung (Planungssysteme im Vertrieb, in der Beschaffung und Lagerhaltung, in der Produktion und Logistik);
-
die Beratung (Beratungssysteme), so z.B. bei der betriebswirtschaftlichen Planung (z.B. Geldanlage, Investitionsentscheidungen) und
-
das Tutoring (Tutoringssysteme), d.h. Systeme des Lehrens und Lernens (E-Learning-Systeme).
Eigenschaften
-
Expertensysteme sind computergestützte Planungs-, Analyse- und Konstruktionssysteme (Problemlösungssysteme);
-
sind interaktive Programmsysteme;
-
beziehen sich auf ein abgegrenztes Teilgebiet menschlichen Wissens, so z.B. im betrieblichen Bereich in der Produktion oder in der Logistik;
-
nutzen neben Fakten- und Regelwissen auch Heuristiken und vages Wissen zur Problemlösung;
-
leiten Problemlösungen über Schlussfolgerungen aus gespeichertem Wissen ab (logische Informationsverarbeitung);
-
eignen sich besonders für das Bearbeiten „diffuser“ Anwendungsbereiche, die sich durch unscharfes und unvollständiges Wissen auszeichnen (unstrukturierte Problembereiche);
-
simulieren das Arbeiten menschlicher Experten;
-
führen den Anwender durch „natürlichsprachlichen“ Dialog;
-
erklären ihre Vorgehensweise und die abgeleiteten Ergebnisse;
-
zeigen „intelligentes“ Verhalten bei der Problemlösung und
-
sind lernfähig.
Systemarchitektur
Ein Expertensystem ist keine monolithische Einheit, sondern lässt sich durch funktionale Komponenten erklären. Neben den beiden Kernkomponenten Wissensbasis (enthält das Wissen des Problembereichs) und Inferenzkomponente (Problemlösungskomponente zur logischen Ableitung von Lösungen) weist es eine Dialog– und Erklärungskomponente auf. Zum Aufbau und zur Aktualisierung der Wissensbasis wird eine Wissensakquisitionskomponente vorausgesetzt. Wünschenswert ist weiterhin eine Lernkomponente, die die Fähigkeit des Lernens nachvollziehen und somit die Wissensbasis automatisch erweitern und verbessern kann. Neben der notwendigen Einbindung in das DV-System sind Schnittstellen zu Anwendungssystemen, so z. B. zu Datenbanksystemen und auch zu weiteren Expertensystemen, sinnvoll.
Leistungspotenziale
Die Leistungspotenziale der Expertensysteme liegen vor allem in der Problemlösung einerseits und in der Dialog- und Erklärungsfähigkeit andererseits. Bei der Problemlösung lassen sich unterschiedlichste Formen der Wissensrepräsentation nutzen, wie z.B. Regeln, Frames und Objekte. Zur Lösungsfindung kommen Inferenzprozesse und Suchstrategien zur Anwendung.
Anwendungsbereiche
Neben dem Einsatz der Expertensysteme in operativen Anwendungsbereichen, so z.B. in der Beschaffung, in der Produktion, im Vertrieb und im Personalwesen haben die Systeme eine hohe strategische Bedeutung. Expertenssysteme bzw. Wissensbasierte Systeme dienen dazu, das vorhandene Wissen einer Unternehmung systematisch aufzubereiten und zu sichern (Wissenssicherung), zu verteilen (Wissensmultiplikation) und zur richtigen Zeit am richtigen Ort zur Verfügung zu stellen. Die Systeme sind somit wichtige und leistungsfähige Instrumente eines betrieblichen Wissensmanagements.
Literatur
Gabriel, Roland : Wissensbasierte Systeme in der betrieblichen Praxis. London : McGrawHill, 1992.
Harmon, Paul ; King, David: Expertensysteme in der Praxis. Perspektiven, Werkzeuge, Erfahrungen. 3. Auflage. München : Oldenbourg, 1989.
Mertens, Peter ; Borkowski, Volker; Geis, Wolfgang: Betriebliche Expertensystem-Anwendungen. 3. Auflage. Berlin et al.: Springer, 1993