Unter dem Stichwort Business Engineering finden sich einige Ansätze, vor allem aus dem deutschsprachigen Raum, die mit Hilfe von Modellierungstechniken eine integrierte Gestaltung des Unternehmens unterstützen. Gleichzeitig wird die Bezeichnung Business Engineering für einen Ansatz verwendet, der aus Forschungsarbeiten der Universität St. Gallen entstanden ist.
Entstehung und Abgrenzung der Ansätze
Die Ansätze des Business Engineering entwickelten sich in den 90er Jahren aus den Disziplinen Software Engineering und Business Process Reengineering, und zwar vornehmlich im deutschsprachigen Raum. Im Unterschied zu ihren Ursprüngen beschränken sich die Business-Engineering-Ansätze nicht nur auf die Entwicklung von Software oder nur auf das Reengineering der Prozesse, sondern streben die integrierte Gestaltung wesentlicher Bereiche des Unternehmens mit Modellierungstechniken an.
Beispiele für Ansätze zum Business Engineering sind vor allem die Architektur integrierter Informationssysteme (ARIS) von A.-W. Scheer, das Business Engineering (BE) von H. Österle und R. Winter, Multi-Perspective Enterprise Modeling (MEMO) von U. Frank sowie das Semantische Objektmodell (SOM) von O.K. Ferstl und E.J. Sinz. Allen Methoden zugrunde liegt eine Unternehmensarchitektur, die den Umfang der Gestaltungsbereiche abgrenzt und für die integrierte Modellierungstechniken angeboten werden (vgl. [Ferstl/Sinz 2006, S. 185-186; Frank 2002; Österle/Blessing 2003, S. 81; Scheer 2002, S. 33-37]). Darüber hinaus verwenden alle Methoden ein Vorgehensmodell (vgl. [Ferstl/Sinz 2006, S. 190-191; Frank 2004; Österle/Blessing 2003, S. 67-79; Scheer 2002, S.49-53; Winter 2003, S. 114]), wobei ARIS nur über eine sehr grobe Phasenbeschreibung verfügt. Die Ansätze wurden zunächst im universitären Umfeld entwickelt. Insbesondere ARIS hat zwischenzeitlich auch in der Praxis große Verbreitung gefunden. Zudem wurde für jeden Ansatz ein Werkzeug entwickelt, das bei der Anwendung des jeweiligen Ansatzes unterstützt und beispielsweise die Integration der Modellierungsergebnisse sicherstellt (z.B. ARIS Platform, AdoBEN).
Im englischsprachigen Raum wird vereinzelt auch vom Business Engineering [ten Haaf et al. 2002] oder vom Business Modelling [Holsapple et al. 2002; Nilsson et al. 1999] gesprochen, jedoch herrscht hier kein einheitliches Begriffsverständnis vor. Dabei werden einzelne Themenbereiche des Business Engineering (z.B. der Organisationsentwurf bei [ten Haaf et al. 2002] untersucht oder mehrere Bereiche (z.B. „corporate development“, „organisational development“ und „information systems“ in [Nilsson et al. 1999]) betrachtet, ein integrierter Ansatz fehlt jedoch. Integrierte Ansätze mit ähnlicher Zielsetzung finden sich in der englischsprachigen Literatur z.B. unter dem Begriff Enterprise Architecture wieder.
Kennzeichen der Ansätze
Geprägt wurde das Business Engineering zum einen von Österle in [Österle 1995], der vor allem Modellierungstechniken für Prozesse und Anwendungssysteme und in späteren Veröffentlichungen auch für die Unternehmensstrategie [Österle/Blessing 2003, S. 68-73] vorstellte. Ein weiteres wesentliches Kennzeichen des BE nach Österle ist sein Fokus auf die Unterstützung umfassender Veränderungen im Unternehmen, d.h. die Transformation der Unternehmen in das Informationszeitalter [Österle 1995, S 22-23]. Ungefähr zur gleichen Zeit führte Scheer in einem Vortrag zur Saarbrücker Arbeitstagung (1994) den Ansatz des House of Business Engineering ein, der ein Rahmenkonzept zum Management von Geschäftsprozessen enthält und sowohl umfassende Veränderungen wie auch adaptive Anpassungen der Geschäftsprozesse unterstützt [Scheer 2002, S. 54-55]. Mit SOM werden mittels transaktionsbasierter und objektorientierter Paradigmen Prozesse und Anwendungssysteme analysiert bzw. neu entwickelt. Erste Veröffentlichungen erschienen 1990/91. Das Vorgehen unterstützt insbesondere die Modellierung durch Definition von Zerlegungsregeln und die Festlegung des Übergangs zwischen Geschäftsprozessen und Anwendungssystemen. Der Grundstein für MEMO wurde mit der Habilitation von Frank gelegt [Frank 1994]. Der Ansatz ist seitdem kontinuierlich weiterentwickelt worden und orientiert sich ebenfalls wie SOM am objektorientierten Paradigma.
Literatur
Ferstl, O.K.; Sinz, E.J.: Grundlagen der Wirtschaftsinformatik. (5.r Auflage). Oldenbourg: München, Wien, 2006.
Frank, U.:r Multiperspektivische Unternehmensmodellierung: Theoretischer Hintergrund undr Entwurf einer objektorientierten Entwicklungsumgebung. Oldenbourg:r München, Wien, 1994.
Frank, U.: Multi-Perspective Enterprise Modeling (MEMO): Conceptualr Framework and Modeling Languages. In: Proceedings of the Hawaii Internationalr Conference on System Sciences (HICSS-35): Honolulu, 2002.
Frank, U.: E-MEMO:r Referenzmodelle zur ökonomischen Realisierung leistungsfähiger Infrastrukturenr für Electronic Commerce in: Wirtschaftsinformatik (Band 46, Nr. 5) 2004, S.r 373-381.
Holsapple, C.; Jacob, V.; Raghav Rao, H.: Business Modelling:r Multidisciplinary Approaches, Economics, Operational and Information Systemsr Perspectives. Kluwer Academic Publishers: Boston, Dordrecht, London, 2002.
Nilsson, A.G.;Tolis, C.; Nellborn, C.: Perspectives on Businessr Modelling: Understanding and Changing Organisations. Springer: Berlin et al., 1999.
Österle, H.: Businessr Engineering: Prozess- und Systementwicklung, Band 1 Entwicklungstechniken. (2. Auflage).r Springer: Berlin et al., 1995.
Österle, H.; Blessing, D.:r Business Engineering Model in: Business Engineering: Auf dem Weg zumr Unternehmen des Informationszeitalters. Österle, H.;Winter, R. (Hrsg.).r Springer: Berlin et al., 2003, S. 65-85.
Scheer, A.-W.: ARIS – Vomr Geschäftsprozess zum Anwendungssystem. (4.r durchgesehene Auflage). Springer: Berlin et al., 2002.
ten Haaf, W.; Bikker, H.; Adriaanse, D.J.: Fundamentals of Businessr Engineering and Management A systems approach to people and organizations. Delft University Press, 2002.
Winter, R.: Modelle,r Techniken und Werkzeuge im Business Engineering. In Österle, H.; Winter, R.r (Hrsg.): Business Engineering – Aufr dem Weg zum Unternehmen des Informationszeitalters. Springer: Berlin et al., 2003, S. 87-118.