Bibtex

@InCollection{,
  Year    = "2019", 
  Title    = "Betrieb von Anwendungssystemen", 
  Author    = "Ferstl, Prof. Dr. Otto", 
  Booktitle    = "Gronau, Norbert ; Becker, Jörg ; Kliewer, Natalia ; Leimeister, Jan Marco ; Overhage, Sven (Herausgeber): Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik – Online-Lexikon",
  Publisher    = "Berlin : GITO",
  Url    = "https://wi-lex.de/index.php/lexikon/management-von-anwendungssystemen/betrieb-von-anwendungssystemen/", 
  Note    = "[Online; Stand 23. November 2024]",
}

Betrieb von Anwendungssystemen

Otto Ferstl


Der Beitrag erläutert den Betrieb von Anwendungssystemen aus der Perspektive eines Geschäftsprozesses und verweist auf die Organisation und den Service Support zum Betrieb von Anwendungssystemen.

Begriff

Anwendungssysteme (AwS) sind maschinelle Aufgabenträger für Aufgaben des betrieblichen Informationssystems. Ein AwS besteht in der Regel aus den Schichten (a) Hardware-System (Prozessoren, Speicher, Kommunikationskanäle), (b) Systemsoftware (Betriebssysteme, Datenbanksysteme, Kommunikationssysteme) und (c) Anwendungssoftware, die die Lösungsverfahren von Aufgaben beinhaltet (z.B. Office-Systeme, ERP-Systeme). Ein AwS kommuniziert bei der Durchführung betrieblicher Aufgaben mit Personen als Nutzer eines AwS, mit weiteren Partner-AwS eines integrierten AwS-Verbundes oder mit Maschinen, um diese zu steuern und zu kontrollieren. Vollautomatisierte Aufgaben werden von einem oder mehreren AwS im Verbund durchgeführt, teilautomatisierte Aufgaben beziehen auch Personen als Aufgabenträger ein. Die Spannweite der Architekturen von AwS reicht von monolithischen, am Arbeitsplatz eines Nutzers installierten Systemen (z.B. Office-Systeme) bis zu komplexen verteilten Systemen, die zahlreiche Server und Clients sowie Dienste unter Nutzung des Internets einschließen (z.B. Enterprise-Resource-Planning-Systeme, Flugreservierungssysteme unter Nutzung von Webservices).

Ein AwS ist in Betrieb, wenn es eine Aufgabe durchführt oder bereit ist, eine Aufgabe durchzuführen. Der Betrieb von AwS, insbesondere umfangreicher AwS, erfordert ein organisatorisches Umfeld, das gemäß den Konzepten für Geschäftsprozesse zu gestalten ist (Abb.1).

Als Empfehlung für die Gestaltung des Betriebs von AwS liegen Referenzmodelle vor, die in breitem Umfang genutzt werden. Besonders häufig genutzt wird das Referenzmodell ITIL (IT Infrastructure Library).

 GPM_AwS_Betrieb

 Abb. 1: Geschäftsprozess Betrieb eines AwS (Darstellung gemäß SOM-Methodik)

Organisation des Betriebs

Den Auftrag zum Betrieb eines AwS erteilt ein Lenkungssystem, das den AwS-Betrieb steuert und überwacht. Bei dezentralen AwS am Arbeitsplatz eines Nutzers übernimmt diese Lenkungsaufgabe der Nutzer selbst, bei zentralen AwS eine Organisationseinheit, die als Systemadministration o. ä. bezeichnet wird.

Auftraggeber des Lenkungssystems sind entweder (1) ein Nutzer, der hier in Personalunion mehrere Rollen übernimmt, (2) die Unternehmensleitung oder Fachabteilungen, die für die von einem AwS durchzuführenden Aufgaben zuständig sind, oder (3) unternehmensexterne Auftraggeber, wenn ein AwS als Dienstleistung für Kunden betrieben wird. Auftraggeber und Lenkungssystem schließen für den Betrieb von AwS eine Rahmenvereinbarung in Form eines Service-Level-Agreement (SLA), in der festgelegt sind: (1) die zu erbringenden Leistungen, (2) Verantwortungen beider Partner, (3) Zeit, Art und Umfang der Leistungserbringung, (4) Melde- und Prüfmethoden der Leistungserbringung, (5) Regelungen bei Ausnahmen und Störungen, (6) Preise, (7) Vertragslaufzeit und (8) Rechtsfolgen bei Nichteinhaltung des SLA.

Die von einem AwS erbrachten Leistungen werden zur Abstimmung mit dem Auftraggeber u.a. anhand folgender Kennzahlen und Aggegrate dieser Kennzahlen erfasst:

  • Zeitdauern der Verfügbarkeit und der Nichtverfügbarkeit eines AwS. Für viele AwS wird eine Verfügbarkeit von 7x24h, d.h. Nonstop-Betrieb gefordert.

  • Geschwindigkeit eines AwS in Transaktionen pro Zeiteinheit (Durchsatz von Transaktionen). Als Transaktion wird hier die Bearbeitung von Geschäftsvorfällen (z.B. Buchungen bei Online-Banking oder bei Flugreservierungssystemen) verstanden.

  • Reaktionszeiten auf Nachrichten von Nutzern, Partner-AwS oder Maschinen.

  • Nutzungsgrad der Ressourcenkapazitäten.

Die organisatorische Zuständigkeit für den Betrieb und die Lenkung des Betriebs eines AwS variiert mit dem Typ eines AwS. Für dezentrale AwS, die am Arbeitsplatz des Nutzers installiert sind, wie z.B. Office-Systeme, sind die Nutzer häufig selbst zuständig. Zentrale AwS für den Mehrbenutzerbetrieb wie z.B. ERP-Systeme benötigen eine Systemadministration, die den AwS-Betrieb steuert und überwacht. Bei unternehmensübergreifenden AwS ist die Abstimmung mit Partner-Dienstleistern erforderlich. Die Systemadministration ist in eine IT-Abteilung eingebunden, die zentrale IT-Systeme eines Unternehmens betreut. Die IT-Abteilung ist dem Organisationsbereich des Informationsmanagements oder IT-Managements zuzuordnen.

Die Aufgaben der Systemadministration werden entsprechend der Differenzierung eines AwS in Hardware, Systemsoftware und Anwendungssoftware in eine technische (Hardware und Systemsoftware) und fachliche (Anwendungssoftware) Betreuung gegliedert.

Unternehmensübergreifende Organisation des AwS-Betriebs

Betreibende und nutzende Organisationseinheiten eines AwS gehörten bisher in der Regel gemeinsam zu einem Unternehmen (Eigenbetrieb von AwS). Zukünftig werden diese beiden Organisationseinheiten auch unterschiedlichen Unternehmen zugeordnet sein (Fremdbetrieb von AwS). Im Fall des Application Service Providing betreibt ein Unternehmen ein AwS im Auftrag eines nutzenden Unternehmens.  Im Konzept des Cloud-Computing wird diese Dienstleistung verallgemeinert. Ein nutzendes Unternehmen kann fremdbeziehen (1) entweder nur die Leistungen der IT-Infrastruktur (Infrastructure as a Service IaaS), oder (2) die Leistungen einer Entwicklungsplattform (Platform as a Service PaaS) oder (3) die Leistungen eines AwS (Software as a Service SaaS). Die Vorzüge dieses Konzeptes bewirken, dass Cloud-Computing für Leistungen zwischen Unternehmen (Public Cloud) als auch innerhalb eines Unternehmens durchgeführt wird (Private Cloud).

Service Support

Der Betrieb eines AwS wird von Störungen beeinflusst. Störungsquellen sind

  • technische Störungen wie Stromausfall, Ausfall von Hardwarekomponenten

  • funktionelle Störungen wie Softwarefehler der System- oder Anwendungssoftware

  • Störungen der Betriebsumgebung wie Ausfall von Klimaanlagen, Brand etc.

  • fehlerhafte Daten oder Datenverlust

  • Störungen der Informationssicherheit durch Viren, Würmer, Hacker etc.

  • fehlerhafte Bedienung durch Nutzer

Zur Behandlung von Störungen ist ein breites Spektrum von Maßnahmen erforderlich. Maßnahmen zur kurzfristigen Wiederherstellung eines AwS-Betriebs werden organisatorisch im Service Support als Teil des Lenkungssystems AwS-Betrieb zusammengefasst. Dieser Aufgabenbereich nimmt Störungsmeldungen entgegen und versucht, die Betriebsbereitschaft wieder herzustellen. Im Referenzmodell ITIL stellt Service Support einen eigenen Geschäftsprozess mit folgenden Aufgaben dar (Abb. 2):

Geschäftsprozess ITIL-Service-Support

Legende: S Steuerung, D Leistungsdurchführung, V Vereinbarung. Z/R Zielvorgabe/Rückmeldung
Abb. 2: Geschäftsprozess ITI-Service-Support

  1. Service-Desk: Zentrale Anlaufstelle für Kunden bzw. Leistungsempfänger und damit Hauptfunktion dieses Prozesses. Alle Informationen von der Kundenseite gehen über den Service-Desk (single point of contact). Der Service-Desk registriert und leitet Störungsmeldungen weiter.

  2. Incident-Management: Nimmt Störungsmeldungen entgegen, kategorisiert sie nach Kritikalität, d. h. nach der Bedeutung des daraus folgenden Fehlverhaltens eines AwS, und veranlasst Maßnahmen, um die Servicequalität gemäß Service-Level-Agreement wieder herzustellen. Der Support ist in First-, Second- und Third-Level-Support gegliedert.

  3. Problem-Management: Untersucht Störungen, die das Incident-Management meldet, hinsichtlich ihrer Ursachen und versucht, die Ursachen von Problemen, auch proaktiv, zu beseitigen.

  4. Change-Management: Behandelt Requests-for-Change (RFC), die u. a. von den Prozessen Problem- Management, Service-Desk – oder Change-Management intern erstellt werden.

  5. Configuration-Management: Steuert und überwacht die Konfiguration von Configuration-Items (Services, Server, etc.).

  6. Release-Management: Beinhaltet Planung, Implementierung und Test von AwS.

Die Softwareentwicklung ist nicht Teil des Prozesses Service-Support, sondern wird als Umweltobjekt mit der Software-Wartung und –pflege beauftragt.
Die genannten Aufgaben des Geschäftsprozesses Service Support beziehen sich auf ITIL Version 2. In der aktuellen Version 3 wurde dieser Prozess aufgeteilt. Die Aufgaben 1 (Service Desk) bis 3 (Problem Management) bilden zusammen mit weiteren Aufgaben den Bereich Service Operation, die Aufgaben 4 (Change Management) bis 6 (Release Management) wurde dem Bereich Service Transition zugeschlagen.


Literatur

Ferstl, Otto K. ; Sinz, Elmar J.: Grundlagen der Wirtschaftsinformatik. 7. Auflage. München : Oldenbourg, 2013.

o.V. Was ist ITIL? http://www.itil.org/de (Abruf 10.08.2013).

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