Rahmenempfehlungen
Ausbildung in Wirtschaftsinformatik wird bisher hauptsächlich im tertiären Bildungssektor und weniger im schulischen Bereich betrieben. Die Wissenschaftliche Kommission Wirtschaftsinformatik im Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft erarbeitet regelmäßig Empfehlungen für die Ausbildung in Wirtschaftsinformatik. Diese leiten sich überwiegend aus den betrieblichen Aufgabenstellungen und den beruflichen Tätigkeiten ab, wie sie in den Beiträgen Wirtschaftsinformatik und Wirtschaftsinformatik-Berufe sowie Profil der Wirtschaftsinformatik beschrieben sind.
Die aktuelle Fassung der Empfehlungen wurde im Jahr 2007 veröffentlicht [Fachkommission 2007, Kurbel 2009]. Sie positioniert die Wirtschaftsinformatik als Fachgebiet mit engen Bezügen zur Betriebswirtschaftslehre und zur Informatik. Demzufolge beschreibt sie nicht nur die Kerninhalte, sondern auch, welche Teile aus der Betriebswirtschaftslehre und der Informatik in einem Wirtschaftsinformatik-Studium vermittelt werden sollten und welche Hilfsfächer benötigt werden.
Nachfolgend werden Ausbildungsinhalte beschrieben (vgl. gesonderte Artikel zum Studium an Universitäten und Fachhochschulen).
Kerninhalte
Die Kernbereiche der Wirtschaftsinformatik-Ausbildung sind in fünf Teilgebiete eingeteilt:
Informationsmanagement
-
Produktionsfaktor Information, Informationsbedarfsanalyse, Planung, Steuerung und Kontrolle der Informationsinfrastruktur und der Anwendungssysteme u.a.
-
Strategie, Qualität und Controlling der Informationsversorgung, Risikomanagement, Kosten/Nutzen, IT-Governance, Compliance, IT-Aufbauorganisation, Outsourcing, Offshoring u.a.
-
Integration von Geschäftsprozessen und Anwendungssystemen, Kooperationsunterstützung u.a.
-
Sicherheit in der Informationsverarbeitung, Datenschutz, Schutz der Privatsphäre u.a.
-
Informationssystem-Architektur des Unternehmens, technologische Infrastruktur, Softwarearchitekturen u.a.
-
Geschäftsprozessmanagement, Reifegradmodelle, Qualitätsmanagement u.a.
-
Informationsmodellierung, Referenzmodelle
Inner- und überbetriebliche Informationssysteme
- Enterprise Resource Planning (ERP), Abbildung und Integration von Geschäftsprozessen
- Supply Chain Management (SCM): Planung, Steuerung, Kontrolle und Überwachung von Lieferketten
- Customer Relationship Management (CRM) und Teilsysteme
- Product Lifecycle Management (PLM) einschl. Product Data Management (PDM)
- Informationssysteme in Industrie, Handel, Dienstleistungssektor, Finanzsektor und öffentlicher Verwaltung
- Elektronische Marktplätze und Auktionssysteme, Electronic Shops, Web-Portale
- Führungsinformationssysteme, Berichts-, Kontroll– und Planungssysteme, Frühwarnsysteme u.a.
Entwicklung und Management von Informationssystemen
- Entwicklung, Einführung, Migration, Abschaffung von Informationssystemen, Kommunikations-, Qualifikations-, Motivations- und Organisationsmaßnahmen u.a.
- Vorgehensmodelle: Wasserfallmodell, evolutionäre Modelle, Prototyping, Rational Unified Process (RUP), Agile Development u.a.
- Projektplanung, -steuerung und -organisation, Projektmanagement, Projektcontrolling
- Problemanalyse und problemorientierte Modellierung von Aufgaben, Daten, Funktionen, Vorgängen und Prozessen, Requirements Engineering
- Entwicklung der Softwarearchitektur, Softwareentwurf, Softwaremodelle, Entwicklungswerkzeuge, Codegeneratoren u.a.
- Prinzipien, Methoden und Werkzeuge für Programmierung und Testen, Qualitätssicherung
- Auswahl, Anpassung und Einführung von Standardanwendungssoftware, Customizing u.a.
- Integration und Migration von Individual- und Standardsoftware (Neu- und Altsysteme), Software-Reengineering u.a.
Daten- und Wissensmanagementsysteme
- Unternehmensdatenmodelle, konzeptuelle Datenmodellierung, logische Datenmodelle, Datenbankschemata, Datenbankmanagementsysteme, Datenbanksprachen u.a.
- Metadaten-Management, Repository-Systeme, Ontologien, Semantic Web; Content-Management-Systeme
- Data Warehouse, ETL (Extraktion, Transformation, Laden), mehrdimensionale Datenmodelle, Datenarchitekturen, Data Marts u.a.
- Business Intelligence, Wissensmanagement, Online Analytical Processing (OLAP), Wissensakquisition und -verteilung, organisationales Lernen, Berichtswesen, Dashboards u.a.
Modelle und Methoden zur Entscheidungsunterstützung
- Mathematisch-statistische Methoden, z.B. Prognose, Klassifikation, Clustering, Regression
- Operations-Research-Modelle aus Industrie, Handel und Dienstleistungen, lineare und gemischt-ganzzahlige Optimierung, Heuristiken, Simulation u.a.
- Künstliche Intelligenz, Softcomputing, evolutionäre Algorithmen, neuronale Netze, Fuzzy-Systeme, Expertensysteme, Agentensysteme u.a.
- Hilfsmittel für das strategische Management, z.B. Risikoanalysen, Balanced Scorecard, Szenariomanagement
Inhalte aus Nachbardisziplinen
Wirtschaftswissenschaftliche Grundlagen
Aus der Betriebswirtschaftslehre sind insbesondere die folgenden Teilgebiete von Bedeutung: Produktentwicklung, Absatz, Marketing, Investition, Finanzierung, Rechnungswesen, Beschaffung, Produktion, Logistik, Personal, Organisation sowie Geschäftsprozesse.
Ergänzend werden ausgewählte Grundlagen der Volkswirtschaftslehre als sinnvoll ansehen, vor allem volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, Finanz- und Wirtschaftspolitik, Märkte, internationale Wirtschaftsbeziehungen sowie Schlüsselkonzepte wie Konjunktur, Wechselkurs und Zinssatz.
Informatik-Grundlagen
Da die Informations- und Kommunikationstechnologie die Basis zur Lösung der meisten Problemstellungen in der Wirtschaftsinformatik darstellt, werden bestimmte Grundlagen aus der Informatik benötigt. Dazu zählen vor allem:
- Formale Sprachen, Logik, Bäume, Graphen, Netzwerke; Berechenbarkeits- und Komplexitätstheorie, Algorithmik u.a.
- Rechner- und Betriebssysteme, Rechnerarchitekturen, Hardwarekomponenten, Systemsoftware, Hardware- und Softwareplattformen, Middleware u.a.
- Rechnernetze und Netzwerktechnologien, lokale Netze, Weiterverkehrsnetze, Internet, Dienste und Protokolle
- Programmiersprachen, Auszeichnungssprachen, Modellierungssprachen (z.B. UML) u.a.
Hilfsfächer
Über die zuvor genannten Ausbildungsinhalte hinaus sind für die Wirtschaftsinformatik-Ausbildung bestimmte Grundlagen von Bedeutung, die überwiegend aus folgenden Fächern stammen:
-
Mathematik
-
Verhaltenswissenschaften
-
Wirtschaftsrecht
Gewichtung
Je nach Art des Studiengangs, in dem Wirtschaftsinformatik vermittelt wird, sind die Anteile der drei Fächer Wirtschaftsinformatik, Wirtschaftswissenschaften und Informatik sowie der Hilfsfächer mit unterschiedlichem Gewicht versehen. Eine Daumenregel, die sich aus den Rahmenempfehlungen für ein Vollstudium Wirtschaftsinformatik ableiten lässt, lautet, dass die drei Fächer sowie die Gruppe der Hilfsfächer (zusammen) jeweils mit ca. 25 % gewichtet werden sollten [Fachkommission 2007, S. 322 ff.].
Literatur
Fachkommission Wirtschaftsinformatik : Rahmenempfehlung für die Universitätsausbildung in Wirtschaftsinformatik. In: Wirtschaftsinformatik 49 (2007), Nr. 4, S. 318-326.
Kurbel, Karl : Das Studium der Wirtschaftsinformatik. In: Kurbel, Karl et al. (Hrsg.): Studienführer Wirtschaftsinformatik 2009-2010. Wiesbaden : Gabler, 2009, S. 17-37.