Bibtex

@InCollection{,
  Year    = "2019", 
  Title    = "Informationssystem-Architekturen, Wandlungsfähigkeit von", 
  Author    = "Gronau, Prof. Dr.-Ing. Norbert", 
  Booktitle    = "Gronau, Norbert ; Becker, Jörg ; Kliewer, Natalia ; Leimeister, Jan Marco ; Overhage, Sven (Herausgeber): Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik – Online-Lexikon",
  Publisher    = "Berlin : GITO",
  Url    = "https://wi-lex.de/index.php/lexikon/informations-daten-und-wissensmanagement/informationsmanagement/information/informationssystem-architektur/informationssystem-architekturen-wandlungsfaehigkeit-von/", 
  Note    = "[Online; Stand 20. April 2024]",
}

Informationssystem-Architekturen, Wandlungsfähigkeit von

Norbert Gronau


Von wandlungsfähigen Informationssystem-Architekturen wird gesprochen, wenn diese die Fähigkeit haben, sich selbst, effizient und schnell, an Umweltveränderungen anpassen zu können. Umweltveränderungen können unterschiedlicher Natur sein. Ein möglicher Ansatz zur Bestimmung des Grades der Wandlungsfähigkeit einer Informationssystem-Architektur ist ein Indikatorensystem.

Notwendigkeit von wandlungsfähigen Informationssystem-Architekturen

Infolge der turbulenten Umwelt von Unternehmen ist der Unternehmenswandel zu einem Dauerzustand avanciert [Krüg98, S.228ff]. Dies betrifft alle Bestandteile der IS-Architektur.
Immer kürzer werdende Produktlebenszyklen führen zu Änderungen der Geschäftsprozesse. Neue Technologien wirken sich auf die IT-Infrastruktur-, Software- und Datenebene aus. Parallel erfordern die Innovationen die Neuausrichtung der Wertschöpfungsprozesse und die Kommunikation mit den betroffenen Personenkreisen. Nicht  zu vernachlässigen sind organisatorische und rechtliche Veränderungen. Treten derartige Umweltveränderungen (Turbulenzen) ein, so ist zu ihrer Bewältigung eine Anpassung der Unternehmensstrukturen notwendig, um die Existenz und den Erfolg der Unternehmung sicherzustellen [Pfau97, S.1].
Doppler und Lautenburg [2002] fassen die Auswirkungen des Wandels in den Stichworten „Verknappung der Ressource Zeit“, Verknappung der Ressource Kapital“ und „Steigerung der Komplexität“ zusammen.
Die auf das Unternehmen einwirkenden Turbulenzen können in der Praxis nicht zeitgerecht und mit der notwendigen Effizienz  implementiert werden. Dies ist der Fall, wenn die Umweltturbulenzen mit Verzögerung wahr genommen werden oder strukturelle und organisatorische Faktoren eine Wahrnehmung der Turbulenzen erschweren.

Begriff der Wandlungsfähigkeit

Ein einheitliches Verständnis von Wandlungsfähigkeit existiert nicht. Der Begriff der Wandlungsfähigkeit entstammt aus der Umweltökonomie. Weitere Forschungsbereiche in denen er gezielte Verwendung findet, sind beispielsweise die Organisationstheorie, Kognitionspsychologie, Fabrikplanung [WH00, NK02, AG04] aber auch Katastrophenmanagement [RSW09] und Anwendungssysteme [Gro06] [GW09].
Im Rahmen des Brundtland-Reports der Vereinten Nationen wird von einer nachhaltigen Entwicklung (sustainable development) gesprochen. [Hub95]
Rolf definiert die nachhaltige Entwicklung, als Befriedigung der aktuellen Bedürfnisse, sowie die Nicht-Gefährdung der Bedürfnisse der kommenden Generation [Rol98].
Krotschek versteht unter der Nachhaltigkeit eine Handlungsweise, die über einen beliebig langen Zeitraum ohne Einbuße an Überlebensfähigkeit durchhaltbar ist [Kro98].
Spath stellt im Rahmen der Produktionswirtschaft die Flexibilität in Beziehung zur Wandlungsfähigkeit. Er definiert Flexibilität, „als die Eigenschaft, vorhandene Spielräume in einem etablierten System schnell und mit einem geringen Reaktionsaufwand zu nutzen, wohingegen sich Wandlungsfähigkeit als nachhaltige Veränderung dieses etablierten Systems darstellt“ [SHKK08].
Parreren unterscheidet im Rahmen der Lernpsychologie zwischen kognitive Schemata und kognitiven Handlungsstrukturen [vP66, S.103ff.]. Bei kognitiven Handlungsstrukturen basiert die Handlung auf kognitiven Prozessen. Hierzu zählen bewusst durchgeführte Aktivitäten wie z.B. Wissen, Urteilen, Überlegen, Auswählen oder Denken [vP66, S.30]. Die Grundlage kognitiver Handlungsstrukturen bilden kognitive Schemata [vP66, S. 101ff]. Auf Basis von bereits bekannten kognitiven Prozessen wird versucht, eine Verbindung von bereits verstandenen Erkenntnissen zu noch nicht bewältigten Ereignissen herzustellen. Durch die Erinnerung bzw. Erfahrung einer Situation wird versucht, eine neue Situation mit den bereits bekannten Handlungsstrukturen zu bewältigen. Parreren bezeichnet eine Handlungsstruktur als wandlungsfähig, wenn sie den Akteur, der über diese Handlungsstruktur verfügt, dazu ermöglicht, ohne weiteres Lernen abweichende Handlungsstrukturen zu entwickeln und einzusetzen. Die Wandlungsfähigkeit ist umso größer, je mehr abweichende Handlungsstrukturen von der Ausgangsstruktur erfasst werden können [vP66, S.103].
Der Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik an der Universität Potsdam versteht unter Wandlungsfähigkeit, die Fähigkeit eines Systems, schnell, effizient und selbst  auf Änderungen in seiner Umwelt durch den gezielten Einsatz von Handlungsstrukturen (oder –Strategien) zur Erreichung der Systemziele eingehen zu können [GW09].
Ein System ist umso wandlungsfähiger, über je mehr Handlungsstrukturen es verfügt und je wandlungsfähiger bereits diese Strukturen sind [GW09].
Den Grad der Wandlungsfähigkeit einer Informationssystem-Architektur kann über Indikatoren festgestellt werden.

Indikatoren zur Feststellung von Wandlungsfähigkeit bei Informationssystem-Architekturen

Die Indikatoren Skalierbarkeit, Modularität, Mobilität und Interoperabilität entstammen der Fabrikplanung, ergänzt um die Selbstorganisation, Selbstähnlichkeit und Redundanz, die der Betrachtung autopoietischer Systeme entstammen. Der achte Indikator ist das Wissen der Mitarbeiter, welches zur Integration der vorher genannten Indikatoren eine wesentliche Rolle spielt. [AG04].

Skalierbarkeit

Unter der Skalierbarkeit wird die Möglichkeit der größenmäßigen Erweiterung aber auch Verkleinerung einer Informationssystemarchitektur verstanden. Der Indikator bedarf einer effizienten Anpassung um der Verschwendung vorzubeugen.

Modularität

Modularität bzw. Modularisierung bedeutet allgemein die Strukturierung eines Systems in kleine, teilautonome und übersichtliche Subsysteme [Pico+03, S.230]. Bestandteile eines Moduls sind die Modulschnittstelle, welche eine Spezifikation über die Leistung und die Eigenschaften, die für sein Umfeld von Bedeutung sind, und ein Modulrumpf. Die Vorteile der Modularität äußern sich in einer effizienten Kombination, Wiederverwendung und der schnellen Änderung von informationstechnischen Anwendungen.

Mobilität

Hierunter wird die Verfügbarkeit verstanden, d.h. räumlich und zeitlich uneingeschränkter Zugriff auf Ressourcen. Eine weitere Dimension der Mobilität ist die Plattformunabhängigkeit von Anwendungen. Die Unabhängigkeit umfasst das Betreiben von Hardware, Betriebssystemen, Datenbanksystemen oder Applikationsservern.

Interoperabilität

Der Indikator Interoperabilität beschreibt die Fähigkeit von Anwendungen miteinander zu kommunizieren oder zusammenzuarbeiten. Die Unabhängigkeit von Hardware, eingesetzten Betriebssystemen und Software gilt auch hier. Während eines Arbeitsablaufs wird der Zugriff auf Daten- und Verarbeitungsressourcen gewährleistet. Die Interoperabilität ist im Zeitalter der Globalisierung ein wesentlicher Faktor, da eine erhöhte Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit von international agierenden Unternehmen möglich ist.

Selbstorganisation

Hierunter wird die Fähigkeit eines Systems verstanden, selbstregulierend und selbststeuernd Mechanismen aus ihrer eigenen Struktur heraus, zu bestimmen um den langfristigen Systembestand zu gewährleisten [MaVa87]. Die Systemelemente bzw. Subsysteme erzeugen dabei ihre eigene Ordnung, indem sie Informationen über ihre Umwelt und Ihre Wechselwirkung mit der Umwelt aufnehmen, diese zu einem „Modell“ verdichten und in der  realen Welt gemäß diesem Schema handeln [Gell98].
Die aus dem System resultierende Struktur bzw. Ordnung weist durch das Prinzip der Selbstorganisation eine hohe Leistungsfähigkeit auf [Schr03, S.17].

Selbstähnlichkeit

Selbstähnliche und selbstorganisierende Elemente führen zu einem autopoietischem Systemverhalten, das sich positiv auf die Wandlungsfähigkeit von Informationssystemarchitekturen auswirkt [Vgl. Gro06].

Redundanz

Hier gilt es den Single-Point-of-Failure zu vermeiden und die Ressourcen über die benötigte Leistungserstellung hinaus zur Verfügung zu stellen. Durch die Redundanz erzeugt man Dezentralität. Der Konflikt der Wandlungsfähigkeit vs. der gesteigerten Kosten für die zusätzlich zur Verfügung gestellten Ressourcen ist individuell aufzulösen.

Wissen über Informationssystemarchitektur

Es wird zwischen dem personengebundenen Wissen (stillschweigendem Wissen) und dem expliziten Wissen unterschieden. Das Explizite Wissen ist dokumentiert in Prozessen, Regeln, Richtlinien, Verantwortlichkeiten, Kommunikationskanälen, Modellen usw. Wissen wird hier verstanden als das Bewusstsein eines jeden Mitarbeiters zu erkennen, wo Bedarfe vorhanden sind bzw. welche Handlungsoptionen möglich sind.



Literatur

[AG05] Andresen, K.; Gronau, N.; Schmid, S.: Ableitung von IT-Strategien durch Bestimmung der notwendigen Wandlungsfähigkeit von Informationssystemarchitekturen. In Ferstl, O.K.; Sinz, E.J.; Eckert, S.; Isselhorst, T. (Hrsg.): Wirtschaftsinformatik 2005, Physica-Verlag (Heidelberg), 2005, S. 63-82.

[DoLa02] Doppler, K; Lauterburg, C: Den Unternehmenswandel gestalten; 10. Auflage, (Frankfurt), 2002.

[Gell98] Gell-Mann, M.: Das Quark und der Jaguar – Vom Einfachen zum Komplexen; (München), 1998.

[Gro06] Gronau, Norbebrt: Wandlungsfähige Informationssystemarchitekturen – Nachhaltigkeit bei organisatorischem Wandel. GITO-Verlag (Berlin), 2. Auflage, 2006.

[GW09] Gronau, Norbert; Weber, Edzard: Wandlungsfähigkeit: Generische Strategien zur Handhabung von Veränderungen in der Umwelt. 2009.

[Hub95] Hubig, C.: Technikbewertung in Unternehmen. In: Deutsches Institut für Fernstudienforschung (Hrsg.): Funkkolleg Technik einschätzen – beurteilen – bewerten, Studienbrief 6, Studieneinheit 19, DIFF Tübingen 1995

[Kro98] Krotschek, C.: Prozessbewertung in der nachhaltigen Wirtschaft. Dissertation am Institut für Verfahrenstechnik der TU Graz, Fakultät für Maschinenbau, (Graz), 1998.

[Krüg98] Krüger, W.: Management permanenten Wandels. In: Organisation
im Wandel der Märkte. Hrsg. H. Glaser/E. F. Schröder/A. v. Werder, Gabler (Wiesbaden), 1998.

[MaVa87] Maturana, H., Varela, F.: The Tree of Knowledge, (Boston), 1987

[NK02] Nofen, D.; Klußmann, J.H.: Wandlungsfähigkeit durch modulare Fabrikstrukturen. Industrie Management, 18(1): S.49-52, 2002.

[Pfau97] Pfau W.: Betriebliches Informationsmanagement – Flexibilisierung der Informationsinfrastruktur; Reihe Markt- und Unternehmensentwicklung, Herausgegeben von: Picot, A.; Reichwald, R.; (Wiesbaden), 1997.

[Pico+03] Picot, A., Reichwald, R., Wiegand, R.T.: Die Grenzenlose Unternehmung – Information, Organisation und Management; 4. Auflage, (Wiesbaden), 2003.

[Rol98] Rolf, A.: Grundlagen der Organisations- und Wirtschaftsinformatik. (Berlin Heidelberg New York), 1998.

[Schr03] Schreyögg, G.: Organisation – Grundlagen moderner Organisationsgestaltung; 4. Auflage, (Wiesbaden), 2003

[SHKK08] Spath, D.Hirsch-Kreinsen, H., Kinkel S. (Hrsg.): Organisatorische Wandlungsfähigkeit produzierender Unternehmen – Unternehmenserfahrungen, Forschungs- und Transferbedarfe. Fraunhofer IRB Verlag, (Stuttgart), 2008.

[vP66] Parreren, C.F. van: Lernprozess und Lernerfolg, Georg Westermann Verlag, (Braunschweig), 1966.

[RSW09] Röchert-Voigt, T., Stein, M., Weber, E.: Wandlungsfähige Schutzstrukturen und Folgenabschätzungen, Leitfaden. GITO-Verlag (Berlin), 2009.

[WH00] Wiendahl, H.-P., Hernandez, R.: Wandlungsfähigkeit – Neues Zielfeld in der Fabrikplanung. Industrie Management, 16(5): S. 37-41, 2000.

 

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